Ähnlich war es mit dem Briefpapier; das wurde nur gegen Rückgabe von Altpapier abgegeben. Wer kein solches hatte und trotzdem das Bedürfnis verspürte, auf dem wieder aufgenommenen Postweg mit lieben Verwandten und Bekannten in Verbindung zu treten, der kaufte sich in dem Laden, wo es das Briefpapier gab, eine mit Lizenz der Militärregierung gedruckte literarische Zeitschrift für 60 Pfennige, knüllte sie etwas zusammen, überreichte sie der Verkäuferin als Altpapier und erhielt nun für 20 Pfennige vier Briefbogen mit Umschlägen. Alte soldatische Weisheit:
Warum einfach machen, wenn es umständlich auch geht?
Vorgänge dieser Art trieben Karl dazu, Zuschriften an die verschiedenen Blätter zu schicken, die dort meist in den Papierkorb wanderten, höchst selten auch einmal abgedruckt wurden.
Karl schrieb Bewerbungen um Stellen bei neugegründeten Wirtschafts- Forschungsinstituten oder Maschinen-Tauschstellen usw. Was aber alles ohne Erfolg blieb – schon deshalb, weil ja Parteigenossen in keinerlei Stellen beschäftigt werden durften, in denen sie mit einer größeren Zahl von Personen in Verbindung kommen konnten!
Er verfaßte auch lange Artikel über die Notwendigkeit von neuen Siedlungen – auch der Primitivsiedlungen, wie er selbst sie vorhatte.
Immer mehr zeigte es sich aber, daß nichts über eine handfeste Praxis ging. Der Nachbar Lechner war auch dieser Meinung und benutzte den schönen Herbst noch, um seinen Keller auszubauen, und auch Karl machte sich daran, den Platz für ein Häuschen zu roden und zu ebnen. Sorgfältig wurde ausgemessen, wie es so zwischen den Fichten und Kiefern stehen mußte und daß trotzdem recht viel Sonne in die Fenster fiel.
Moni war mit Feuereifer dabei, während es bei Mutter und Schwester immer wieder mal zweifelnde Äußerungen gab. Und als Hedwig zum ersten Mal von ihrer Landarbeitstelle nach Hause kam, da war sie schier verzweifelt über das Landleben, für das sie schon vorher nicht sonderlich viel Neigung gezeigt hatte:
"Wollt ihr euch denn wirklich hier in der Wildnis vergraben? Ich hab das Landleben schon soooo dick – nichts wie Arbeit von früh bis spät, Mist und Dreck immerzu, nicht einmal richtig waschen kann man sich –"
"Aber ein nahrhaftes Essen hast du doch dort wenigstens?"
"Na ja, das geht, ich hab euch ein bisschen was mitgebracht. Schaut, solche fette Nudeln haben wir dort fast alle Tage, und einen halben Laib Brot hab ich auch noch mitgebracht."
"Danke schön! Das ist ja nett von deinen Bauersleuten, daß sie mit uns auch etwas Mitleid haben!"
"Meinst du? Das sind verflucht geizige Knochen, ich hab sehr betteln müssen um den halben Laib Brot, und da ich mir die Nudeln da von meinem Abendessen abgespart habe, war die Bäuerin richtig böse darüber – essen soll ich, soviel ich mag und kann, damit ich Kraft hab zum Arbeiten – aber auf keinen Fall was zur Seite bringen – das ist ihr Grundsatz. – Aber wart, ich hab euch ja noch was mitgebracht!"
Sie kramte in ihrem Rucksack und brachte ein kleines Päckchen zum Vorschein, das sie der Mutter mit einer gewissen Feierlichkeit überreichte. Die wickelte neugierig das äußere Papier auseinander:
"Kinder, das ist Butter! Richtige Butter! Ein halbes Pfund muß das ja fast sein! Herrlich, endlich wieder einmal ein richtiges Stück Butterbrot! Vielen Dank, Hedi!"
"Ja von wem ist die Butter denn, hast du das sehr teuer bezahlen müssen? Soll doch das Pfund Butter jetzt 200 bis 300 Mark kosten auf dem schwarzem Markt – soviel, wie wir alle zusammen in einem Monat von der Sparkasse abheben dürfen!"
"Nein, ich hab gar nichts bezahlt, das hab ich von unseren Flüchtlingen, die auch bei uns arbeiten und wohnen, ist ein Ehepaar aus dem Sudetenland. Sie haben einen Bauernhof gehabt und ein nettes kleines Mädchen – die haben selber viel Schlimmes mitgemacht und da haben sie mehr Verständnis für uns arme Städter als die satten Bauern, denen es noch nie schlecht gegangen ist."
"So nette Leute!" Ilse besann sich: "Gleich seh ich nach in unseren Schränken, wir haben doch noch so viele Kleidchen und Spielsachen von euch, da bringst du denen was mit für das kleine Mädchen! Und für die Eltern vielleicht Arbeitskleidung oder so was!" "Arbeitskleidung - die werden wir schon noch selber sehr nötig brauchen," warf Karl ein, "ich bin ja jetzt selber ein Arbeiter!" "Trotzdem, wir drei Frauen finden schon noch etwas, von meiner Mutter die Kleider
hab ich auch fast alle noch daliegen!"
"Sicher finden wir was – vielleicht auch für meine Kollegin, die junge Schlesierin, die bei mir in der Kammer schläft! Sie ist so alt wie ich, aber sie hat niemand und nichts mehr, weiß nicht, wo ihre Eltern hingeraten sind. Sie ist trotzdem so nett und lustig."
Monika war ungeduldig geworden.
"Das kriegen wir alles morgen abend, wenn du wieder nach Buchheim fährst – aber jetzt fahren wir los, Mamas Reifen ist ja wieder geflickt – hat sie dir schon erzählt von ihrer Johannisbeerfahrt vorgestern? 20 Pfund Beeren hat sie heimgebracht von Heimkutzenhausen, 25 Kilometer von hier im Bayerischen."
"Wie kommst du denn dazu, Mama?"
"Die Adresse hat mir der Herr Trometer gesagt, Johannisbeeren gibt’s ja jetzt viele, aber man muß sie selber pflücken und dann noch teuer bezahlen – der Vater und Monika haben beide nicht Zeit gehabt, da bin ich allein losgefahren, es sind fast zwei Stunden gewesen, und hab die zwanzig Pfund gepflückt. Ein bisschen Brot habe ich auch ergattert und dann habe ich mich ausgeruht, es war ja recht heiß, und gegen Abend wollt ich heimfahren, aber ich war kaum eine Viertelstunde unterwegs, da platzte mir der hintere Reifen. Flicken konnte ich ihn nicht und hab auch keine Werkstatt gefunden, da hab ich eben das Rad nach Hause geschoben, vier Stunden hat das gedauert!"
"Und wir zwei zu Hause haben uns solche Sorgen gemacht, bis sie endlich um elf Uhr eingetrudelt ist, ganz schachmatt war sie, konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten," ergänzte der Vater.
"Ja warum bist du denn nicht mit der Bahn gefahren, ein großes Stück bist du doch daran entlang gelaufen?"
"Ach Hedwig, ich wußte ja nicht, wo der nächste Bahnhof war, und ob gerade um die Zeit ein Zug ging, und ob ich noch genug Geld einstecken hatte, die Beeren waren ja so teuer. Aber die Hauptsache ist doch, daß wir die vielen Beeren haben, die eßt ihr doch alle so gern -" und sie lachte.
Monika meinte: " Man soll dich halt nicht allein fortlassen – und das einzig Richtige ist es doch, wenn man die Beeren selber im Garten hat und gleich dabei wohnt! Wenn der Vater schon einen Hilfsarbeiter machen
soll, kann er das auch in Erling machen!"
"Hilfsarbeiter! Wenn ich das nur höre!" runzelte die Mutter die Stirne. "Vater ist doch
nicht mehr so jung und kräftig, daß er das aushält – und er hat doch auf der Hochschule studiert, da wird er doch nicht sein Lebtag lang einen Hilfsarbeiter machen – nein, redet mir nicht immer von Hilfsarbeiter!"
"Ja, Mama, ich hoffe ja auch, daß er wieder einmal eine bessere Stelle bekommt – aber dann ists auch schön, wenn man so draußen wohnt in der Wildnis. Im Sommer im Garten und im Winter im Haus könnten wir Mädchen doch Pullover und Handschuhe stricken, vielleicht auch ein paar Schafe halten für die Wolle. Hedi, du kannst doch so schöne Fleckerlteppiche weben, könntest du nicht richtig die Handweberei lernen und einen Webstuhl aufstellen, Teppiche weben und ganz aparte Kleiderstoffe, das wird doch gut bezahlt!"
Das Gespräch hatte sich inzwischen von der Wohnung auf die Landstraße verlegt.
"Und ich lerne ja in einer Blumengärtnerei, da wird dann unser Garten richtig bunt und fachmännisch gepflegt, nicht so Kraut und Rüben durcheinander wie jetzt, und wir sehen zu, daß wir noch ein Stückchen Land dazu kriegen. Da bauen wir Heilkräuter und Gewürze an, das lohnt sich auch. Ihr helft mir im Sommer alle mit, beim ernten und trocknen, und der Vater kann fotographieren und schreiben, vielleicht für Zeitungen, oder gar einmal ein Buch, und am Besten geht das doch sicher draußen im Garten!"
Die Mutter lachte.
" Die Phantasterei, die hat die Moni vom Vater – der hat auch schon immer geträumt vom Siedeln und Häuschen bauen!"
"Ja, das stimmt schon, bald 25 Jahre ists her, da hab ich sogar meine erste gute Beamtenstelle freiwillig aufgegeben und bin auf Wanderschaft gegangen, ein Vierteljahr lang rund durch Deutschland und Österreich, und hab mich überall umgeschaut, ob ich mich nicht irgendwo anschließen könnte an so eine Siedlung, wie sie damals von den alten Wandervögeln da und dort angefangen worden sind – aber
es ist nichts daraus geworden – aber den Traum vom eigenen Häuschen hab ich nie aufgegeben. Träume sind Schäume, sagt man, aber das stimmt nicht immer, es gibt
auch Träume, die sind viel mehr – die sind Bilder, die sich in der Seele eingeprägt
haben - die sind es, die dem Leben Wert und Ziel
geben – sie lassen einen nicht mehr los, bis sie endlich in Erfüllung gehen. Nicht von selber, die gute Fee aus dem Märchen, die gibt’s kaum mehr – nein, es kostet meist viel Schweiß und harte Arbeit, und ein Glückskind muß man auch sein.
Manchmal dauert das ein paar Jahre. So ists mir mit dem Traum vom Fliegen gegangen – wie
der dann erfüllt war, bei den Soldaten, da war die Seele zufrieden und hat nicht mehr danach verlangt.
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