Weiter zur Beschreibung unserer Maschine. Die beiden Tragdecker waren mit Drahtseilen sorgfältig über Kreuz verspannt, das Fahrgestell bestand aus 2 Rädern, die an langen Gummiseilen aufgehängt waren, sodass sie beim Landen allerhand Sprünge machen konnten. Die Räder waren bei den Maschinen für bessere Dienstgrade mit normalen Luftreifen versehen. Flugschüler hingegen mussten sich mit Rädern aus Sperrholz begnügen, die Emmentaler Käsen glichen, aber bedeutend gebrechlicher waren als diese.
Gesteuert wurde die Maschine mit dem auch heute üblichen Knüppel, Seitensteuer mit den Füssen, Höhensteuer vor = ab, zurück = Steigung, Knüppel seitwärts = Verwindung, alles doppelt für den Lehrer.
Messgeräte gab es fast gar nicht, nur der Drehzahlmesser war wichtig, Höhenmesser gab es nur bei Höhen- und Überlandflügen. Unentbehrlich war der mit einer kleinen Handkurbel bediente Stromerzeuger zum Anlassen des Motors, der schon erwähnte Schalter für Früh- und Spätzündung und die Benzinhähne für Hauptbehälter und für Reserve. Noch etwas – ich glaube nicht.
Weiter zu erwähnen wären noch mal die D-Maschinen, die flinken kleinen Jagddoppeldecker ( bei uns selten zu sehen), die G-Maschinen, zweimotorig und
damals als Riesenflugzeuge angesehen und dementsprechend selten, ich habe noch nie eine solche gesehen.
Der damalige Winter war im ganzen sehr wüst. Es wurde unterschieden zwischen „Flugwetter“ und „Fliegerwetter“, das letztere zwang die Flieger, schön am Boden zu bleiben – Sturm, Regen, Nebel, Schneetreiben, das alles war mit Vorsicht zu geniessen und verhinderte manchmal wochenlang jeden Flugbetrieb – so zog sich unsere Ausbildungszeit von Oktober 1917 bis Februar 1918 hin.
Einen seltenen Genuss erlebte ich am 2.November, da nahm mich ein fortgeschrittener Flugschüler (Unteroffizier Kechter) auf seinem vorgeschriebenen Höhenflug in einer C-Maschine mit: 3900 m war die Gipfelhöhe, schöner Blick aufs Wolkenmeer und im Süden auf die Alpengipfel, die man von Fürth aus wohl nur selten zu Gesicht bekommen dürfte.
Ende Januar war es endlich so weit, dass Sedlmeiers 4 Schüler allein „losgelassen“ werden sollten, nachdem wir so ungefähr 40 Schulflüge mit dem Lehrer absolviert hatten – immer links herum in etwa 100 m Höhe, gar niemals rechts herum. Aber es zog sich immer wieder hinaus: schlechtes Wetter, Bruch der für uns vorgesehenen Maschine, wieder Bruch, Krankheit des Fluglehrers usw.
Endlich konnte es losgehen: nach der militärischen Rangordnung war unser Leutnant als Erster an der Reihe, und schon war es wieder aus für die anderen drei. Leutnant Bämmel gab schneidig Gas, aber die ungewohnten Holzreifen gaben der Maschine eine ganz falsche Richtung und sie sauste genau auf den Schornstein der letzten Flugzeughalle los. Der Pilot bekam es mit der Angst zu tun. Er trat kräftig aufs Seitensteuer ( eine Bremse gab es ja nicht). Solche Krafteinwirkung hielt das gebrechliche Fahrgestell nicht aus und schon lag die Maschine auf dem Rücken! Dem Leutnant hatte es nichts gemacht, aber unsere Maschine musste auf eine Woche in die Werft, bis ich endlich am 1.3.1918 zum ersten Alleinflug starten konnte auf Nr. 33. Endlich – der grosse Moment!
Brille auf – Sturzhelm festgebunden – Motor läuft schon – Frühzündung eingeschaltet – Starterlaubnis – Gashebel vorgeschoben – Drehzahl 1400! Schon brause ich los –
aber zum Teufel, genau wie bei unserm Leutnant steckt die Maschine die Nase um 30 Grad nach links. Drohend steht der Kamin auf der letzten Halle im Weg – doch Ruhe bewahren, in den 6 Tagen seit des Leutnants Rückenlandung ist in des Flugschülers Hirn x-mal die Situation durchgespielt worden, und schon rutscht der lächerliche Kamin 10 m unter dem rechten Flügel durch. Sacht steuere ich in den vorgeschriebenen Linkskreis hinein – die Maschine steigt und steigt ( aha! des Sedlmeiers 100 kg fehlen im vorderen Sitz!).
So schön war der Rundblick noch nie, aber schon habe ich Richtung auf das Landekreuz. Gerne wäre ich noch etwas oben geblieben, 300 m habe ich vielleicht schon – also Gas weg und Knüppel nach vorne – mit sanftem Sausen geht’s runter, recht schnell naht sich die Erde – abziehen, abfangen, abfangen! Ist schon abgefangen – ich gucke rechts hinaus, die Maschine schwebt wagrecht, 10 m über dem Boden? Das wäre der Moment um Gas zu geben und durchzustarten – aber das als Anfänger? Ach was, wir werden schon runterkommen. Sind wir auch mit ein paar Hupfern, aber doch ohne Bruch. Aufatmend und froh rollte ich zurück zum Startplatz, bereit zu weiteren Schandtaten. Aber wie hat mich der Sedlmeier in Empfang genommen: „Was hast du denn da gedacht? Das war doch kein Gleitflug, nein, das war ein Sturzflug.“
Damit war der erste Alleinflug für mich an diesem Tag beendet. Nach mir wurden noch 4 Flugschüler „losgelassen“. Der letzte davon stellte die Maschine auf den Kopf und damit war wieder Schluss für eine Woche mit Alleinflügen, mit Wind und Nebel und Bruchmaschinen. Kein Wunder, dass ich beim 2.Alleinflug die Achse ein bissel verbogen habe und zur besseren Übung noch ein paar Schulflüge mit dem Lehrer machen musste! Der erste Alleinflug wurde trotzdem gefeiert, in einer versteckten Kneipe, wo es trotz des Krieges noch Gänsebraten gab – der Sedlmeier wusste so etwas zu organisieren. Zuletzt führte er uns noch in ein anderes Lokal, das am Pegnitzufer mit einer roten Laterne seine Kundschaft lockte. Aber da wusste ich meine Unberührbarkeit zu bewahren. Im Nu war ich um die Ecke im Dunkel verschwunden. Es hat mich auch am andern Tag niemand auf die nächtlichen Erlebnisse angesprochen.
Fünf Wochen konnte ich mich noch Flugschüler nennen. Im März 1918 kam ich aber selten in die Luft, machte auch noch mal einen kleinen Bruch. Das Landen war immer noch der wunde Punkt. In der ersten Aprilwoche kam ich dann endlich etwas mehr ran und die Fliegerei machte mir richtig Spass und gerade, wenn die Kiste bei „bockigem“ Wind gleich nach dem Start ein bisschen geschüttelt wurde. Nach 4 Jahren Soldatsein war es ja ein schönes Gefühl, wenn man, wenn auch nur für kurze Zeiträume, ganz sein eigener Herr war, einem keiner etwas befehlen konnte. Oder wenn man bei stillem Abendhimmel ausnahmsweise die Sonne im Westen aufgehen lassen konnte.
Solche Erlebnisse bildeten eine gewisse Euphorie – meine Fliegerfreuden sind schliesslich gut ausgelaufen. Am 3.4. hatte ich schon 3 Rundflüge hinter mir, bei etwas trübem Wetter, und startete frohgemut zum vierten. Aber da rührte sich etwas auf dem weiten Flugfeld, gerade als ich schon in die Linkskurve eingebogen war, zwei Männer packten am Landekreuz (eigentlich war das ja kein Kreuz, sondern es stellte den Grundriss eines Flugzeuges dar) ihre Planen zusammen und zogen damit nach Süden. Da hing ich nun einsam in meiner Kiste, ohne Richtung und Wegweiser! Eine Rechtskurve hätte ich machen müssen, aber die hatte man uns Anfängern noch gar nicht gezeigt, oder gar einen Achter, bis das Landekreuz der geänderten Windrichtung entsprechend ausgelegt wäre?
Ach was, der Wind war ja sehr schwach, da konnte einem ja ein bisschen Seitenwind beim Landen nichts schaden – denkste – aber es war falsch gedacht. Die Bodenberührung war etwas schräg, das Käserad krachte – so, jetzt steht er auf dem Kopf, aber da bleibt er nicht, langsam kippt er über und liegt auf dem Rücken, und der Bruchpilot hängt am Gurt und zappelt mit den Füssen, die gerade noch den Erdboden erreichen.
Was Fluglehrer und Schulleiter geäussert haben, weiss ich nicht mehr, aber der Traum vom Fliegen war aus, worüber ich ja eigentlich sehr froh sein musste.
Das letzte Halbjahr des Krieges durfte ich damit verbringen, aus Bäckerlehrlingen und Bauernknechten perfekte Flugzeugmonteure zu machen.
Original vermutlich ca.1919 von Hans Prölss
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