20 - Ein schwerer Fall für die Amis


Captain Howard saß in seinem Lehnstuhl im alten Schloß von Hochstadt und langweilte sich ein wenig. Was hatte er als Leiter der Militärregierung in so einem kleinen Landkreis viel zu tun? Für die eigentliche Arbeit waren ja der Landrat da, den die obere Militärregierung ausgesucht hatte, und vor allem die Büroangestellten, die anstelle der entlassenen Beamten schlecht und recht die Mängel zu beheben halfen: Ernährungsamt, Wirtschaftsamt, Wohnungsamt, Straßenverkehrsamt und so weiter.
Sie saßen eng gedrängt in den Büros, vor deren Türen sich die Normalverbraucher, Schwerarbeiter und Selbstversorger drängten und von der Behörde erwarteten, daß diese wie der Herrgott selber wären: allwissend, allmächtig, allgütig. Da es den Ersatzbeamten kaum einmal möglich war, auch nur eine dieser drei Forderungen zu erfüllen, so gab es dauernd Unzufriedenheit, Ärger und Reibereien. Den Captain kümmerte das wenig – mochten die Germans sehen, wie sie mit ihrem selbstverschuldeten Schlamassel fertig wurden! Allenfalls entschloß er sich hie und da – nicht allzu gern – die Rolle des Allmächtigen zu spielen; dafür hatte er seine Militärpolizei, auf die er sich verlassen konnte und die funktionierte wie ein geölter Blitz. Weniger hielt er von der deutschen Landpolizei, die eben erst wieder im Aufbau begriffen war und mit rauhen Landsern zivilisierte Staatsorgane zu machen sich bemühte. Die beste Hilfe dagegen waren ihm die Bürgermeister der einzelnen Dörfer, nachdem man einige Wichtigtuer hinausgefeuert hatte.
Captain Howard hielt der Form halber einige Bürostunden ein, im Übrigen lockte ihn die nahe Großstadt und nicht weniger der Angelsport, sein heimatliches Hobby. Allzu viel Besuch bekam er nicht im Büro. Nur hie und da hatte einer der Deutschen das





Bedürfnis, einem Landsmann oder wenn möglich einer Behörde etwas auszuwischen und sich für diesen Zweck des Leiters der Militärregierung zu bedienen – was aber nicht so leicht war, denn Howard hatte Gerechtigkeitssinn, außerdem verstand er recht gut deutsch.
Drunten auf dem Marktplatz hörte man einen Jeep heranfahren und anhalten; eine Minute später stand ein langer MP-Sergeant in der Tür und meldete:
"Here is Miss Erling – excuse me - Miss Öfli from Erling!" Er grinste vertraulich:
"Sie ist etwas erschrocken, als wir bei ihr ankamen, sie lag nämlich in der Sonne und hatte gar nichts an – aber wir waren höflich und haben draußen gewartet, bis sie sich zum Ausgehen fertig gemacht hatte."
"Gut so, ich habe nichts anderes von euch erwartet, ihr Gentlemen! Jetzt bringt sie herein, und Mr. Stepfoot soll auch kommen, bitte."
Mister Stepfoot, der CIC-Mann, war zuerst da, nahm Platz und steckte sich eine Zigarette an, gleich darauf klopfte Kathy an die Tür und trat auf des Captains Aufforderung resolut herein.
Howard grüßte höflich und bot ihr einen Stuhl an; sie setzte sich und sah ihm fragend ins Gesicht.
"Zigarette gefällig?"
Im allgemeinen pflegte ja Howard Leuten, die er durch die MP hatte holen lassen, nicht gleich Zigaretten anzubieten, aber hier schien ihm diese Frage irgendwie dem Zweck des Verhörs dienlich zu sein.
"Danke, ich rauche nicht."
"Also, sie sind Kathy Höfli aus Erling?" "Ja"
"Sie werden wissen, warum ich sie habe rufen lassen?"
"Nein."
"Was sind sie von Beruf?"
"Krankenschwester."
"Arbeiten sie in ihrem Beruf? und wo?"
"Ich bin nicht in einer festen Stellung – ich arbeite, wo es nötig ist in Erling, und es ist ja leider oft sehr nötig heute, zu helfen –" sie verstummte. Des Captains Stimme klang nicht mehr so freundlich wie vorher:





"Und haben sie eine behördliche Konzession für die Ausübung eines medizinischen Berufs?"
"Ja, ich bin geprüfte Krankenpflegerin – und der Bürgermeister von Erling weiß von meiner Tätigkeit und hat nichts dagegen."
"Jaja, aber von der Militärregierung, sind sie da konzessioniert?" "Nein, das noch nicht –"
Howard blätterte in einem dünnen Aktenheft, den ihm Stepfoot flüsternd hingereicht hatte. "Ja, soweit scheinen ihre Angaben zu stimmen, der Erlinger Bürgermeister hat uns ungefähr ebenso unterrichtet. – Aber nun was anderes. Hier habe ich ihren Fragebogen, den sie der Spruchkammer eingereicht haben. Sie haben darin angegeben, daß sie weder der NSDAP noch einer ihrer Gliederungen oder angeschlossenen Verbände angehört haben. Geben sie zu, daß sie diese Zusicherung eingetragen und durch ihre Unterschrift beglaubigt haben?"
Seine Stimme war plötzlich scharf geworden und Kathy antwortete etwas zaghaft:
"Ich denke schon, daß das stimmt."
"So, sie denken – aber die Spruchkammer hat mehrere Zeugen, die beschwören können, dass sie vor einigen Jahren ständig ein Hakenkreuzabzeichen getragen haben. Was sagen sie zu dieser Anschuldigung?"
"Hakenkreuzabzeichen – niemals, ich weiß gar nicht, was die Leute – aber da fällt mir ein, es kann sein, daß wir auf unserer Schwesterntracht ein Hakenkreuz gehabt haben –"
"Was soll das jetzt wieder heißen? Krankenschwestern haben doch in allen christlichen Ländern ein Kreuz auf ihrer Brosche!"
Der CIC-Mann mischte sich ein und teilte Howard auf englisch etwas mit.
"Eben höre ich, es hat bei den Nazis auch NS-Schwestern gegeben, sind sie eine solche gewesen?" „Ja, natürlich bin ich das gewesen.“
"So, natürlich ist das? Sie haben das Hakenkreuz getragen und behaupten, bei keiner NS-Gliederung gewesen zu sein! Wissen sie nicht, daß auf Fragebogen-Fälschung schwerste Strafen stehen? Daß ich sie eigentlich sofort verhaften lassen muß –" er griff schon nach dem Fernsprecher, um die MP herbeizurufen.





"Aber bitte, Herr Captain, ich kann wirklich nichts dafür, ich konnte das nicht wissen, daß die NS-Schwesternschaft zu den Organisationen gehört, die man angeben muß – sie waren doch alle aufgeführt auf dem Fragebogen: SA, SS, NS-Kraftfahrkorps, NSV, Frauenschaft und alles mögliche, aber nichts von NS-Schwesternschaft –" schluchzte sie.
"Soso – jetzt sagen sie bloß noch, sie sind schon immer gegen die Nazis gewesen, dann schmeiß ich sie hinaus! Oder doch nicht immer? Nur früher einmal waren sie begeistert, wie sie noch ganz jung waren? Brauchen gar nichts sagen, seh ich ihnen alles an!"
Er sah wieder in das Aktenstück, überlas eine Seite, blätterte um, sah Kathy mit gerunzelten Brauen an, las weiter.
Kathy rutschte auf ihrem Stuhl herum, schluckte die Antwort hinunter, die sie auf der Zunge hatte.
"Fräulein Höfle – es kommt mir fast vor, als ob sie selbst manchmal den Anlaß gegeben hätten, daß die Leute über sie reden! Mädchen, Mädchen, was da die Landpolizei alles schreibt hier!"
"Wie meinen sie, Herr Captain?"
"Na, ich meine zum Beispiel, in welcher Verfassung sie vorhin meine MP-Leute angetroffen haben!"
"Aha, so läuft der Hase! In welcher Verfassung? So wie mich unser Herrgott geschaffen hat – soll das vielleicht ein Verbrechen sein, auf meinem eigenen Grund und Boden?"
Captain Howard mußte schmunzeln.
"Na ja, ich glaubs ihnen ohne Weiteres, daß der Herrgott sie persönlich ganz nett geschaffen hat – aber wissen sie, muß denn das unbedingt sein, daß sie andere Leute so in Aufregung bringen in ihrem gottgeschaffenen Zustand? Sehen sie" und er wurde wieder ernst, "da liegen Beschwerden vor von Leuten, und nicht gegen sie allein: da ist die Rede von FKK-Versammlungen auf einem Grundstück in den Auen, von häufigen Männerbesuchen bei einer ganz einsam in einer Hütte wohnenden Dame – kurz und gut, wenn man das alles glauben soll, so ist das ja eine richtige Lasterhöhle bei euch da drunten am Fluß! Äußern sie sich dazu! Aber nur die volle




Wahrheit, bitte! Die Sache ist sehr ernst!"
Kathy atmete tief auf. Es gab keinen anderen Ausweg, jetzt mußte es einmal alles heraus, was sie in diesem Jahr da draußen am äußersten Rand der Erlinger Feldmark hatte über sich ergehen lassen müssen. Aber womit beginnen? Alles der Reihe nach erzählen, das war das Beste. Sie setzte sich gerade auf ihren Stuhl und begann zu erzählen.
Von ihrer Zeit als Werkschwester, von dem Üblen und Gesundheitswidrigen und Gemeinen, was sie da alles erlebt und gesehen hatte. Wie sie sich immer wieder bemüht habe, den Menschen zu einer gesunden Lebensführung zu verhelfen; wie sie die Freikörperkultur kennen gelernt habe, und welch schöne Stunden sie da draußen am Fluß mit den Freunden und Freundinnen erlebt hatte; vom Zusammenbruch und von ihrer Sehnsucht nach den eigenen vier Wänden auf eigenem Grund.
Die beiden Amerikaner folgten ihrem Vortrag mit steigendem Interesse. Sie lachten des öfteren über Kathys Eifer und ihre drastischen Formulierungen, wurden auch wieder ernst, fragten wohl auch einmal dazwischen – aber Schwester Kathy spürte, daß sie an Boden gewonnen hatte.
"Jetzt nur noch eines" unterbrach sie schließlich Howard, "was sie da sagen, hat alles Hand und Fuß, und ich glaube, wir brauchen uns um die sogenannten FKK-Versammlungen nicht mehr weiter zu kümmern – aber was ist mit den sogenannten häufigen Herrenbesuchen bei der "einsamen Dame?" Bitte, äußern sie sich, das geht zwar niemand etwas an!"
Kathy wurde rot und schien doch wieder etwas in Verlegenheit zu geraten.
"Ja, wissen sie, Herr Hauptmann – es stimmt, eigentlich sind das doch völlige Privatangelegenheiten, die auch eine Behörde nichts angehen. Aber darüber sind wohl die Ansichten verschieden, und da sich nun einmal die Erlinger Schandmäuler mit mir befaßt haben, muß ich ihnen wohl auch darüber Auskunft geben!"
"Sie müssen nicht, Schwester Höfle, wir Amerikaner respektieren die persönliche Sphäre – aber wenn sie uns freiwillig möglichst viel Auskunft geben könnten, so wäre das vielleicht gut!" "Also, da muß ich halt alles sagen – sicher bekomme ich hie und da Besuch, von verschiedenen alten Freunden. Zwei davon haben mir geholfen,





meine Hütte aufzubauen, der eine ist jetzt nicht mehr in der Gegend; ein anderer hat mich hie und da einmal besucht, mit dem bin ich von früher, vom Gelände, gut bekannt, er arbeitet jetzt auf einem Bauernhof, ziemlich weit weg; und der wieder hat bei seinem einen Besuch einen Freund mitgebracht, einen Witwer mit einem Kind, dem hat es sehr gut gefallen bei mir –"
"Soso, also anscheinend doch eine ganze Reihe Männer – und wie ist es, bleiben die Herren auch manchmal über Nacht in ihrer Hütte? Es geht mich ja eigentlich nichts an, aber, verstehen sie, je besser ich im Bilde bin, desto besser kann ich auch für sie eintreten –"
"Über Nacht – das kommt eigentlich kaum vor – natürlich, im vorigen Sommer der Seppl, der hat sechs Wochen ganz bei mir gelebt, das ging ja nicht anders, er hat die Hütte für mich gebaut und hat keine andere Unterkunft gehabt – aber die anderen eigentlich nie."
Die peinlich begonnene Vorladung endete in bestem Einvernehmen bei einer Flasche Coca Cola, die beiden Amerikaner schüttelten Kathy freundschaftlich die Hand, und Captain Howard versicherte ihr, sie könne seines Beistands sicher sein.
Leider kam er aber nicht mehr in die Lage, seine Unterstützung zu geben. Zwar stattete er Kathy einmal einen kurzen Besuch ab, als er zum Angeln an den Fluß fuhr, aber kaum einen Monat später wurde er plötzlich an das andere Ende der Welt versetzt.















dreifels ag