15 - Kleine Spitzbuben, grosse Probleme


Im Werk draußen gab es auch immer wieder Interessantes zu beobachten, Dinge, die für die davon Betroffenen manchmal recht schwer wogen.
Da wurde zum Beispiel bekannt, daß es, kaum eine Woche nach der Übernahme des Betriebs durch die neuen Herren, im großen Kohlensilo brannte. Nicht gerade so, daß die Flammen gegen den Himmel schlugen, aber doch, daß es aus allen Löchern kräftig qualmte und alle Tage die Feuerwehr kommen mußte, bis man nach einer Woche der Sache Herr wurde.
In Korns Wohnung wurde es allmählich enger. Eine Kammer war zur Küche für den Werkleiter und seine Frau eingerichtet worden, Ilse stellte das Geschirr zur Verfügung, das Werk einen Gasherd, und die "Ureinwohner“ wunderten sich über die großen Fleischstücke und die anderen guten Sachen, für welche die Töpfe kaum groß genug waren. Die neuen Herren schienen bei den Amerikanern und auch sonstwo recht gute Beziehungen zu haben! Es fand sich auch hie und da Besuch bei den Untermietern ein, recht trinkfeste Leute darunter, nach den am Morgen vor der Haustür stehenden Wein- und Sektflaschen zu schließen. Roßknecht rühmte sich besonders eines Majors bei der "Sii ei Sii" als eines guten Freundes, der einer der mächtigsten Leute in der Stadt sei. "Sii ei Sii", was mag das wieder sein? fragten sich Staabs und Korns. Nach einigem Herumfragen brachten sie es heraus: CIC hieß "Criminal Investigation Corps", Kriminalpolizei also; Leute, die von Amts wegen überall ihre Nase drinstecken haben – unbehagliches Gefühl, so was im Hause zu wissen.
Herr Maurer hatte inzwischen auch seine Schwägerin im städtischen Bauamt und in seiner Wohnung untergebracht, eine junge Architektin. In einer städtischen Werkswohnung konnte man entlassene Nazis nicht sitzen lassen und so waren die




bisherigen Wohnungsinhaber nun plötzlich gerade noch geduldete Untermieter geworden. Da half es gar nichts, wenn Herr Staab sich noch als der zeitweilig suspendierte, aber im Grund immer noch für den Betrieb verantwortliche Leiter fühlte: er war Untermieter, sonst gar nichts.
Auch die beiden alt eingesessenen Hausfrauen konnten einander ihren häuslichen Kummer nur im engsten Kreise klagen. War es nicht unerhört, wie es da eines abends im Erdgeschoß zuging! Erst mal mußte man sich, schon im Bett liegend, lautstarke anzügliche Redensarten über Nazis und "Horcher an der Wand" anhören; das große Wort in der anscheinend recht angeheiterten Runde führte der Roßknecht, dieser Hochstapler - dann war es endlich ruhiger, aber nach Mitternacht schreckte die Familie Korn plötzlich aus dem Schlaf durch ein sonderbares Rollen in der Wohnung – unerklärlich – bis plötzlich ein hartes Klavier-Gehämmer vor dem Schlafzimmer die Ursache anzeigte: hatte doch die übermütige Gesellschaft Frau Ilses Klavier aus dem Wohnzimmer entführt und durch die ganze Wohnung gerollt. Sie veranstalteten jetzt von 1 bis 3 Uhr ein großes Schlagerkonzert mit Tanz – nicht nur am, sondern sogar auf dem Klavier, wie Ilse am Morgen mit Empörung an deutlichen Spuren an dem inzwischen wieder zurückgerollten Instrument feststellte.
Ganze Holzsplitter waren da herausgebrochen, klagte sie fast unter Tränen und wurde beinahe noch böse auf ihren Karl, als dieser sich darauf hinzuweisen erlaubte, daß ja schließlich viele Leute noch ganz andere Sachen von der Besatzung hatten erdulden müssen: Frau Peters zum Beispiel, eine von Ilses Gymnastikfreundinnen und außerdem von jeher leidenschaftliche Hitlergegnerin, der man eines Tages ganz einfach ihren Mann aus seinem Amt weg verhaftet hatte, offenbar weil er halt dieses Amt innehatte.
Gut war es, daß der Herbst so schön warm war, so schritt die Arbeit auf dem Land gut voran. Im Garten der Werkswohnung wurden die Beerensträucher ausgegraben, die Karl vor Jahren selbst gepflanzt hatte, dazu kamen noch etwa 25 kleine Obstbäumchen, die Karl bei verschiedenen Baumschulen der Umgebung mit Mühe zusammenkaufte. Das alles wurde vorläufig in einer Erdgrube eingeschlagen, daneben ging das Roden im Wäldchen weiter. Als man damit fertig war, wurden die Baumlöcher gegraben, zwei bis drei Meter voneinander – viel zu nah, wie sich später




zeigte. Da man schon in geringer Tiefe auf Kies stieß, füllte Karl die Löcher mit viel Laub und Streu und warf darüber noch stattliche Erdhügel auf, damit die Bäumchen viel Humus auf ihren Lebensweg mit bekommen sollten.
Diese langwierigen Arbeiten gingen mit kleinen Unterbrechungen bis in den Winter hinein. Anfang November war es so schön warm, daß man beim Bäume-Ausreißen noch keinerlei Arbeitskleidung brauchte, bald danach aber wurde es so kühl und nebelfeucht, daß die Familie jedesmal sehr froh war, wenn sie sich in der Mittagspause an dem Inhalt des großen Thermos-Gefäßes wärmen konnte, das war meist Graupen- oder Haferflockenbrei.

Auen im Schnee


Als der erste Schnee fiel, da machte man Schluß mit dieser Arbeit, obwohl die Bäumlöcher noch nicht ganz fertig waren. Der immer näher rückende endgültige Hinauswurf aus der Werkswohnung versetzte Korns in grosse Aufregung. Karls offizielles Arbeitsverhältnis, wie auch das seiner Kollegen war auch im November ganz plötzlich beendet worden, irgend wer hatte mit Erschrecken festgestellt, daß ja da entlassene städtische Beamte und Angestellte bei der gleichen Stadtverwaltung neu eingestellt worden waren – wenn auch nur als Arbeiter; aber das war doch völlig



unzulässig, widersprach völlig allen Anordnungen der Militärregierung! Also sofort hinaus mit ihnen! Aber – das Schicksal schreitet schnell, und auch andere Leute wurden in diesen Tagen entlassen. Der Leiter der Stadtwerke, ein derber Mann mit Mutterwitz und hemdsärmligem Auftreten, der es als einziger von den vielen Ingenieuren gewagt hatte, den Oberbürgermeister zu fragen, wo denn der Eintritt in die NSDAP für den Beamten vorgeschrieben sei, und der in konsequenter Auswirkung seiner Rückgrats-Festigkeit Leiter der ganzen Stadtwerke geworden war – also dieser Mann hatte ein scharfes Auge auf die neuen Männer geworfen. Er hatte seine guten Verbindungen nicht nur nach oben, sondern auch nach unten.
Genau zwei Monate waren seit der Übergabe des Werkes an die neuen Herren verstrichen, da krachte es im Gaswerk: keine Gasexplosion etwa, sondern der Werkleiter und sein Stellvertreter flogen mit großem Krach hinaus, waren von einem Tag zum anderen entlassen, wegen Schiebungen und Schwarzhandel: aus dem Werk entnommene Waren, Koks, Benzol, Bretter hatten die Grundlage ihrer den Zeitverhältnissen so wenig entsprechenden Ernährung gebildet! Und sonst, fachlich und so, war dem Chef auch so manches aufgefallen, besonders bei dem kleinen Spitzbuben Roßknecht.
Wäre nun die vielbesprochene Entnazifizierung inzwischen in Gang gekommen, hätte irgendwer die schönen Fragebögen durchgearbeitet gehabt, so hätten sich Staab und Korn über diesen Schlag vom ersten November freuen können. Da aber die Ureinwohner nach wie vor abgestempelte Nazis waren, so war die Bahn frei für immer größeren Wirrwarr. Vier entlassene Ingenieure hielten nun das Wohngebäude besetzt, aber es mußte wieder Platz für neue Leute geschaffen werden. Diesmal hatte man einheimische Kräfte aus der Flugzeugindustrie gewählt, und Karls Nachfolger wurde ausgerechnet der alte Lichtfreund Bernhard, der gleiche, der an einem Sommerabend seinen ganzen Haushalt auf Karls Speicher deponiert hatte. Jetzt bekam er glücklicherweise die Wohnung neben dem Bürogebäude. Die Witwe aus dieser Wohnung setzte man mit ihren Kindern mit in Herrn Staabs Wohnung, und um für den neuen Werkleiter Platz zu machen, mußte der Roßknecht mit Familie vorläufig in Karls Wohnung mit untergebracht werden. Aber hinaus aus den Dienstwohnungen sollten sie ja alle!
Der rundliche Herr Frankfurter, der neue kaufmännische Leiter der Stadtwerke, gab




sich wohlwollend und väterlich:
"Zuerst müssen Roßknecht und Maurer hinaus – es ist doch ein Unterschied zu machen, sie, Herr Korn und Herr Staab, sind doch nicht wie diese Herren wegen krimineller Delikte entlassen worden!"
So hatte er sich an einem Tag stark gemacht – aber da ging der Herr Roßknecht flugs zu seinem Freund von der CIC, und am nächsten Tag schon wurde den Stadtwerken bedeutet: Die Nazis müssen auf jeden Fall zuerst hinaus!
Da änderte die ganze Stadtwerksdirektion wieder ihre Meinung.
Es kam der Dezember 1945 heran, der Weihnachtsmonat, mit Glockengeläute und Frieden auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen – soweit sie noch in der Lage waren, solche Botschaft aufzunehmen – und mit zwölf Einwohnern in der schönen großen Wohnung Gaswerksstraße 1, die umeinander herumschlichen wie hungrige Katzen und darauf lauerten, wer von ihnen wohl zuerst hinausfliegen würde. So viel ereignete sich in diesem Monat, daß man es kaum in der richtigen Reihenfolge erzählen kann:
Karl Korn geht zum Wohnungsamt. Das Wohnungsamt ist im Rathaus, in wenigen Zimmern, viele Sachbearbeiter an vielen Tischen: Schreibtische, auch gewöhnliche Tische, da nicht genug Schreibtische da waren; Sachbearbeiter, da keine Beamten mehr da sind. Außer Sachbearbeitern Ermittler: gehen in der Stadt herum, ermitteln, dass es keinen leeren Wohnraum gibt, daß man hie und da noch ein paar Leute in eine schon vollbesetzte Wohnung hineinstecken könnte, oder wo noch ein Nazi aus seiner Wohnung raus müßte. Im Gang vor dem Amt stehen Menschenschlangen; die Türen sind zugesperrt, hie und da wird eine für einen Augenblick geöffnet, schlüpfen ein paar hinein. Bei jedem Sachbearbeiter steht links und rechts je ein Wohnungssuchender, manchmal noch einer gegenüber; reden gleichzeitig auf ihn ein, liegen ihm in den Ohren. Muß ein Sachbearbeiter mal hinaus, so packen ihn auf dem Gang ein paar Menschen – nein, Parteien, heißt es im Amtsdeutsch – meist vom Ende der Schlange, lassen ihn nicht los.
Karl kommt nach einer Stunde zum richtigen Sachbearbeiter. Der sagt zu ihm, er soll die Wohnung tauschen mit jemand, der im Werk angestellt wird. Laut Richtlinien hat er Anspruch auf zwei Zimmer für vier Personen, vielleicht auch eine Küche. Ein




Tauschobjekt wäre eine Kleinwohnung in der Gartenstadt, der Chemotechniker von da soll ins Gaswerk kommen. Sehen sie es bitte an!
Karl fährt mit Ilse in die Gartenstadt: eine niedliche Kleinwohnung, zwei winzige Zimmerchen, kleine Küche, zusammen 36 Quadratmeter.Da seufzt Ilse: "wohin mit den Möbeln, die Werkswohnung hat 200 Quadratmeter!"
Roßknecht hat zwei alte Bettstellen gekauft; es ist kein Platz dafür im Haus, stehen nun im Garten in Regen und Schnee. Egal, muß ja selber auch mal raus. Für CIC-Gelage ist auch kein Platz mehr, auch keine Gesellschaft mehr; Maurer ist sauer, weil ihn Roßknecht, dieses Roß, so hineingeritten hat.
Roßknecht schleicht umher, auf Schleichhandel, flüstert Karl ins Ohr: "Haben doch netten kleinen Wagen in der Garage stehen, ohne Reifen, werden wohl nicht so schnell wieder fahren dürfen damit! Wie alt, wie viel Kilometer? ... 12000, ist ja wie neu! Hören sie – hätte einen Interessenten dafür, guter Freund von mir, gibt den Anschaffungspreis, auch ohne die Reifen! Glänzendes Geschäft für sie! Geben sie ihn ab, wird ihnen ja doch sonst nur beschlagnahmt!"

Karls DKW ("Deutscher Kinderwagen")


Karl fährt ein Blitz durch den Kopf, er wimmelt den Versucher ab: "Jetzt vorläufig noch



nicht, muß erst überlegen, kann ihn vielleicht selber noch brauchen!" Sachwerte, sagt sich Karl, muß ich dafür kriegen, Baumaterial! Das ist die Rettung!
Trometer begegnet wieder einmal Karl, fragt ihn aus nach seinen Plänen. "Ein Holzhaus bauen? König in Frankhausen hat Holzhäuser, Behelfsheime und so Zeugs, vom Krieg übriggeblieben! Fahrt hin und schaut es an!" Karl radelt mit Ilse zwei Stunden in eisigem Wind nach Frankhausen. Sie sehen bei König – großes Sägewerk – Muster von Holzhäuschen an, Vier-Raum-Behelfsheim. Es ist bewohnt von einer jungen Frau mit drei Kindern, drei Zimmerchen, Küche. Es kostet 4200 Mark, 20 cbm Holzscheine, 25 kg Eisenscheine und ist lieferbar in vier Wochen, komplett mit Türen, Fenstern verglast, 7 Türschlössern und 14 Schlüsseln, "schlüsselfertig" nennt man das, aber ohne Dach-Eindeckung und Schornstein. "Aber die Holzscheine werden sie wohl kaum kriegen" meint der Sägewerks-Ingenieur, "wir würden das Geschäft gerne machen, hat aber bis jetzt kein Privatmann bekommen!" "Vielleicht das Auto in Tausch nehmen?" sagt Karl. "Oh, das wäre ein Gedanke. Haben sie eines? Werde mal mit dem Chef sprechen, wenn er heim kommt."
Karl und Ilse radeln heim, voller Hoffnung. Großer Familienrat, einstimmiger Beschluß: Häuschen kaufen!
Karl radelt nach Erling, hat schon einmal mit der Witwe des großen Mühle- und Sägewerksbesitzers über das Auto gesprochen. Die Witwe ist begeistert, kauft das Wägelchen zum Schätzpreis plus 20 cbm Holzscheine und läßt es gleich mit dem Lastwagen abholen.
Hedwig fährt mit Karl nach Frankhausen zum Häuschen kaufen; Karl als Pg darf nicht über sein Sparbuch verfügen, also muß Hedwig es kaufen. Das Geld schießen Töchter und Mutter aus ihren Sparbüchern vor. Der Sägewerksmann bekommt Holzscheine und verzichtet auf Eisenscheine. "Unerhörter Glücksfall," sagt er, "sonst gibt’s ja keinen Ziegelstein, kein Brett und keinen Nagel ohne Kompensation!"
Roßknecht verkauft seine Einrichtungsgegenstände, auch solche, die ihm nicht gehören, und packt den Rest seiner Habe in zwei Pappschachteln. Karl und Ilse kommen aus ihrem kombinierten Wohn- und Schlafzimmer, sehen ihn mit den Schachteln wortlos durch die Wohnungstür verschwinden; seine Freundin steht an ihrer Couch im Flur, schaut ihm entgeistert nach:"Jetzt hat er mir doch das Bett




unterm Hintern verkauft, und den Radio auch, der Schuft !" Roßknecht kann nicht hinaus durchs Gartentor, das läßt sich noch von der Kriegszeit her nur elektrisch durch einen Knopf von der Wohnungstür aus öffnen. Er kommt noch mal herein, öffnet die Wohnungstür, drückt den Knopf, grinst und verschwindet zum zweiten Mal wortlos, diesmal endgültig.

Moni beim eisernen Gartentor


Er geht zum Bahnhof, bindet sich Karls Armbinde "Werk-Luftschutzleiter" um, erschwindelt damit eine Fahrkarte nach Essen. Rossknecht wird steckbrieflich verfolgt, in Essen verhaftet, zurückgeschickt und ins Untersuchungsgefängnis gesteckt. Dringend muß er zum Zahnarzt, boxt unterwegs seinen Bewacher nieder und verschwindet. Aus, untergetaucht.
Frau Roßknecht (sogenannte, wie sie heißt, weiß keiner) geht mit dem niedlichen kleinen Töchterchen zurück zu den Eltern in die Vorstadt, aus der Traum von der Frau Direktor.
Direktor Frankfurter hat Mitgefühl mit den alten Beamten, hat es ja selbst erlebt, wenn man zur Schwerarbeit getrieben wird – damals mit dem gelben Stern – obwohl er ja, wie er sagt, kein Jude, sondern ein Evangelischer ist. Also, letzter Vorschlag zu



Gunsten der Abgesetzten: Staabs und Korns sollen zusammen in die Parterrewohnung ziehen. Korns sind einverstanden, hätten ja in der halben Wohnung Platz genug. Staabs aber sagen, so was ist Zumutung, der Vorschlag unannehmbar.
Karl geht wieder einmal zum Wohnungsamt. Der Sachbearbeiter bedauert: "Eine Wohnung in der Gartenstadt kann nicht zugewiesen werden, ist zu groß! Für vier Personen gibt es nur zwei Zimmer, keine Küche! Sie müssen Geduld haben, wir können nicht hexen, wir werden uns weiter bemühen – einen Augenblick, gute Frau, ich kann nur mit einer Partei verhandeln, bin mit dem Herrn gleich fertig!" Karl will achselzuckend gehen, da kommt gerade ein Wohnungs-Erheber herein und sagt leise zum Sachbearbeiter: "Hab das neue Objekt Dammtorplatz angesehen, vielleicht was zu machen für den Herrn Baurat!" Er schaut Karl irgendwie verheißungsvoll an, den kenn ich doch, denkt Karl – auf jeden Fall bleibt er noch im Zimmer. Der Erheber erstattet dem Bearbeiter halblaut ausführlichen Bericht; der scheint zufrieden, nickt ein paarmal mit dem Kopf und sagt schließlich: "Ja, Herr Huber, da gehen sie am Besten gleich mal mit dem Herrn Korn hin und zeigen ihm die Wohnung – Herr Korn, ich rat ihnen, greifens zu – die Sache muß jetzt endlich mal zum Abschluß gebracht werden! – Und jetzt kommen sie dran, Frau, wo fehlts denn?"
Karl geht mit dem Herrn Huber durch die zerbombten Altstadtstraßen. Herr Huber erzählt, daß es sich um ein schönes altes Haus handelt, früher jüdisches Eigentum, jetzt Besitz einer großen Textilfabrik; den ganzen Sommer sei es von den Amerikanern besetzt gewesen, jetzt stehe es leer bis auf zwei Zimmer. An einem baumbestandenen Platz am Stadtgraben öffnet Herr Huber ein eisernes Gartentor, dann mit dem Schlüssel eine breite Haustür. War ja ein pompöses Haus das, fast wie das Wohngebäude im Gaswerk, nur 30, 40 Jahre älter und noch größer. Herr Huber schließt das Erdgeschoß auf: großer Flur, sechs Zimmer, Küche, Bad, hinten Aufgang für Lieferanten und Personal. Vornehm, aber eisige Kälte überall, meterdicke Mauern, vergitterte Fenster, innen dran noch eiserne Läden.
Ein dreifenstriges Eckzimmer, dreißig Quadratmeter groß, war Karl zugedacht, daneben noch ein Raum, über fünfzig Quadratmeter; war wohl in früheren besseren Zeiten Ort exklusiver Geselligkeit gewesen, mit Flügel und Wintergarten und so: in der Mitte des Raumes führten vier Stufen in ganzer Breite zur überdachten Veranda hinab; Flügeltüren, ringsum Fenster und Glastüren fast vier Meter hoch,




mächtige Freitreppe hinab in den Park mit seinen riesigen Bäumen – das war ja ein Schloß! Oder mindestens die Prunkvilla eines Industriebarons aus der Gründerzeit!



Garten der Villa um 1730




Herr Huber zeigte Karl noch eine grosse Küche nebst Speisekammer, die könne er auch haben, das Badezimmer aber müsse er mit den vielen anderen Mietern teilen, die noch kommen würden.




Karl sagt sich, eigentlich nicht schlecht die Geschichte – mit dem Heizen wird’s etwas schwierig sein, so große Räume, Zentralheizung ist natürlich nicht in Betrieb zu kriegen – aber wenigstens Platz genug. Also, einverstanden, Karl kommt einigermaßen zufrieden heim. Die Familie ist mit dieser Zwischenlösung einverstanden, die Mutter freut sich sehr, daß sie alle Möbel behalten kann.
Das Wohnungsamt arbeitet diesmal schnell, drei Tage später, das ist eine Woche vor Weihnachten, kommen die Zuweisungen: für Korns die eben beschriebene Teilwohnung, für Staabs eine Kleinwohnung, zwei Zimmer und Küche, an einer lauten Verkehrsstraße, instandsetzungsbedürftig – und das Personalamt hat schon die Möbelwagen bestellt, für den 21. Dezember früh 8 Uhr !

Staab gibt jetzt auf einmal klein bei und macht, was ihm Karl schon lange geraten, er aber stets stolz abgelehnt hat. Er zieht zu seinen Schwiegereltern, die in ihrer kleinen Villa noch ganz leidlich Platz haben. Eine Notlösung, die sich als gut tragbar für Jahrzehnte erweisen sollte!

Ilse und ihre Töchter hocken verzweifelt beisammen auf ihrem schönen grünen Sofa.

"Das ist ja unmenschlich, drei Tage vor Weihnachten! Jetzt bei der Kälte, können wir denn dort überhaupt heizen? Ist ja kein einziger Ofen in der ganzen Wohnung – schrecklich, das geht doch einfach nicht! Mein Liebchen, kannst du denn nichts machen dagegen, bitte, tu doch etwas!"

Karl telefoniert überall herum und versucht, den Umzug zu verschieben bis nach Weihnachten. Stadtrat Schneiderhan hört sich seinen Wunsch an und sagt:
"Also, ausziehen müssen sie, da ist nichts mehr daran zu rütteln; aber meinetwegen, verschieben wirs noch bis nach Weihnachten – aber am siebenundzwanzigsten kommt der Möbelwagen! Einverstanden? Frohe Feiertage!"


(Weitere Informationen zum "Eispalast" siehe Anhang)




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