Als der erste Schnee fiel, da machte man Schluß mit dieser Arbeit, obwohl die Bäumlöcher noch nicht ganz fertig waren. Der immer näher rückende endgültige Hinauswurf aus der Werkswohnung versetzte Korns in grosse Aufregung. Karls offizielles Arbeitsverhältnis, wie auch das seiner Kollegen war auch im November
ganz plötzlich beendet worden, irgend wer hatte mit Erschrecken festgestellt, daß ja da entlassene städtische Beamte und Angestellte bei der gleichen Stadtverwaltung neu eingestellt worden waren – wenn auch nur als Arbeiter; aber das war doch völlig
unzulässig, widersprach völlig allen Anordnungen der Militärregierung! Also sofort hinaus mit ihnen!
Aber – das Schicksal schreitet schnell, und auch andere Leute wurden in diesen Tagen entlassen. Der Leiter der Stadtwerke, ein derber Mann mit Mutterwitz und hemdsärmligem Auftreten, der es als einziger von den vielen Ingenieuren gewagt hatte, den Oberbürgermeister zu fragen, wo denn der Eintritt in die NSDAP für den Beamten vorgeschrieben sei, und der in konsequenter Auswirkung seiner Rückgrats-Festigkeit Leiter der ganzen Stadtwerke geworden war – also dieser Mann hatte ein scharfes Auge auf die neuen Männer geworfen. Er hatte seine guten Verbindungen nicht nur nach oben, sondern auch nach unten. Genau zwei Monate waren seit der Übergabe des Werkes an die neuen Herren verstrichen, da krachte es im Gaswerk: keine Gasexplosion etwa, sondern der Werkleiter und sein Stellvertreter flogen mit großem Krach hinaus, waren von einem Tag zum anderen entlassen, wegen Schiebungen und Schwarzhandel: aus dem Werk entnommene Waren, Koks, Benzol, Bretter hatten die Grundlage ihrer den Zeitverhältnissen so wenig entsprechenden
Ernährung gebildet! Und sonst, fachlich und so, war dem Chef auch so manches aufgefallen, besonders bei dem kleinen Spitzbuben Roßknecht.
Wäre nun die vielbesprochene Entnazifizierung inzwischen in Gang gekommen, hätte irgendwer die schönen Fragebögen durchgearbeitet gehabt, so hätten sich Staab und Korn über diesen Schlag vom ersten November freuen können. Da aber die Ureinwohner nach wie vor abgestempelte Nazis waren, so war die Bahn frei für immer größeren Wirrwarr. Vier entlassene Ingenieure hielten nun das Wohngebäude besetzt, aber es mußte wieder Platz für neue Leute geschaffen werden. Diesmal hatte man einheimische Kräfte aus der Flugzeugindustrie gewählt, und Karls Nachfolger wurde ausgerechnet der alte Lichtfreund Bernhard, der gleiche, der an einem Sommerabend seinen ganzen Haushalt auf Karls Speicher deponiert hatte. Jetzt bekam er glücklicherweise die Wohnung neben dem Bürogebäude. Die Witwe aus dieser Wohnung setzte man mit ihren Kindern mit in Herrn Staabs Wohnung, und um für den neuen Werkleiter Platz zu machen, mußte der Roßknecht mit Familie vorläufig in Karls Wohnung mit untergebracht werden. Aber hinaus aus den Dienstwohnungen sollten sie ja alle!
Der rundliche Herr Frankfurter, der neue kaufmännische Leiter der Stadtwerke, gab
sich wohlwollend und väterlich:
"Zuerst müssen Roßknecht und Maurer hinaus – es ist doch ein Unterschied zu machen, sie, Herr Korn und Herr Staab, sind doch nicht wie diese Herren wegen krimineller Delikte entlassen worden!"
So hatte er sich an einem Tag stark gemacht – aber da ging der Herr Roßknecht flugs zu seinem Freund von der CIC, und am nächsten Tag schon wurde den Stadtwerken bedeutet: Die Nazis müssen auf jeden Fall zuerst hinaus!
Da änderte die ganze Stadtwerksdirektion wieder ihre Meinung.
Es kam der Dezember 1945 heran, der Weihnachtsmonat, mit Glockengeläute und Frieden auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen – soweit sie noch in der Lage waren, solche Botschaft aufzunehmen – und mit zwölf
Einwohnern in der schönen großen Wohnung Gaswerksstraße 1, die umeinander herumschlichen wie hungrige Katzen und darauf lauerten, wer von ihnen wohl zuerst hinausfliegen würde. So viel ereignete sich in diesem Monat, daß man es kaum in der richtigen Reihenfolge erzählen kann:
Karl Korn geht zum Wohnungsamt. Das Wohnungsamt ist im Rathaus, in wenigen Zimmern, viele Sachbearbeiter an vielen Tischen: Schreibtische, auch gewöhnliche Tische, da nicht genug Schreibtische da waren; Sachbearbeiter, da keine Beamten mehr da sind. Außer Sachbearbeitern Ermittler: gehen in der Stadt herum, ermitteln, dass es keinen leeren Wohnraum gibt, daß man hie und da noch ein paar Leute in eine schon vollbesetzte Wohnung hineinstecken könnte, oder wo noch ein Nazi aus seiner Wohnung raus müßte. Im Gang vor dem Amt stehen Menschenschlangen; die Türen sind zugesperrt, hie und da wird eine für einen Augenblick geöffnet, schlüpfen ein paar hinein. Bei jedem Sachbearbeiter steht links und rechts je ein Wohnungssuchender, manchmal noch einer gegenüber; reden gleichzeitig auf ihn ein, liegen ihm in den Ohren. Muß ein Sachbearbeiter mal hinaus, so packen ihn auf dem Gang ein paar Menschen – nein, Parteien, heißt es im Amtsdeutsch – meist vom Ende der Schlange, lassen ihn nicht los.
Karl kommt nach einer Stunde zum richtigen Sachbearbeiter. Der sagt zu ihm, er soll die Wohnung tauschen mit jemand, der im Werk angestellt wird. Laut Richtlinien hat er Anspruch auf zwei Zimmer für vier Personen, vielleicht auch eine Küche. Ein
Tauschobjekt wäre eine Kleinwohnung in der Gartenstadt, der Chemotechniker von da soll ins Gaswerk kommen. Sehen sie es bitte an!
Karl fährt mit Ilse in die Gartenstadt: eine niedliche Kleinwohnung, zwei winzige Zimmerchen, kleine Küche, zusammen 36 Quadratmeter.Da seufzt Ilse: "wohin mit den Möbeln, die Werkswohnung hat 200 Quadratmeter!"
Roßknecht hat zwei alte Bettstellen gekauft; es ist kein Platz dafür im Haus, stehen nun
im Garten in Regen und Schnee. Egal, muß ja selber auch mal raus. Für CIC-Gelage ist auch kein Platz mehr, auch keine Gesellschaft mehr; Maurer ist sauer, weil ihn Roßknecht, dieses Roß, so hineingeritten hat.
Roßknecht schleicht umher, auf Schleichhandel, flüstert Karl ins Ohr: "Haben doch netten kleinen Wagen in der Garage stehen, ohne Reifen, werden wohl nicht so schnell wieder fahren dürfen damit! Wie alt, wie viel Kilometer? ... 12000, ist ja wie neu! Hören sie – hätte einen Interessenten dafür, guter Freund von mir, gibt den Anschaffungspreis, auch ohne die Reifen! Glänzendes Geschäft für sie! Geben sie ihn ab, wird ihnen ja doch sonst nur beschlagnahmt!"
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