Zwei Möbelwagen waren vorgefahren, geübte Packer hatten in drei Stunden alles verladen – man geht noch einmal durch die kahlen Räume, die Mädchen sitzen zum letzten Mal auf der warmen Fensterbank über dem Heizkörper, richtig verzagt. Ilse seufzte tief:
" Meint ihr, wir werden wieder einmal eine so schöne warme Wohnung kriegen? Hättest du, Vater, damals nicht auf mich gehört, wie ich dich gedrängt hab, in die Partei einzutreten, bloß wegen der Sicherheit – und nun sind wir gerade dadurch in die größte Unsicherheit geraten – aber, wie soll man immer wissen, was zur Zeit richtig ist?"
Die Möbelwagen sind schon weg, man gibt die Wohnungsschlüssel Herrn Maurer und nimmt endgültig Abschied von einem Lebensabschnitt – einmal muß es ja sein, und die Kinder glauben, ihre schönste Jugend sei nun vorbei, man schwingt sich auf die Räder, einer ungewissen Zukunft entgegen.
Modell des Gaswerks 1912
Mit dem Einzug in den Eispalast – diesen Namen erhielt er einstimmig gleich am ersten Tag – begannen trübe Tage und Wochen. Platz genug war ja in den zugewiesenen Räumen für den Inhalt der zwei Möbelwagen, auch Keller, Flur und Dachboden standen noch zur Verfügung. Das große Eckzimmer mußte als Wohnküche dienen, denn die an der Nordseite des Hauses gelegene Küche war durch ihre Kälte nicht benutzbar. Einen alten Kohlenherd, der sonst in den Werkswohnungen als Aushilfe bei Reparaturen diente, hatte das Werk den Ausgezogenen leihweise mitgegeben als vorläufig einzige Wärmequelle. Aber als Karl ihn in der trüben Dämmerung anheizen wollte, da stellte sich heraus, daß man die Herdringe vergessen hatte und daß wohl ein Stück Ofenrohr, aber nicht das unentbehrliche Knie da war. Zum Glück war das kleine Mädchen, das mit seiner Mutter oben wohnte, eine Schulkameradin von Monika und die Frau erbarmte sich der Familie Korn und brachte eine große Kanne heißen Pfefferminztee, um die armen Leute vor dem Erfrieren zu retten!
Diese Erwärmung hielt aber nicht lange vor und es blieb nichts andres übrig, als sich, dick angezogen, in die eisigen Betten zu legen, die rings an den Wänden im oberen Teil des großen Mittelzimmers aufgereiht waren. Der untere Teil dieses Raumes war wie ein Möbelmagazin dicht mit hundert Sachen verstellt, was aber leider keinerlei Wärme lieferte. Also – die ganze Nacht hindurch einmütig und rhythmisch mit den Zähnen klappern und als der Morgen dämmerte, suchte man die steifen Glieder durch Bewegung und essen zu erwärmen.
Karl sah sich in den andren Räumen um und öffnete auch die Haustür.
"O fein, es ist warm draußen" rief er, „ich werde draußen frühstücken!" Er holte den Rest seiner Weihnachtsplätzchen und setzte sich damit auf das eiserne Geländer des Treppenpodestes vor der Haustür.
"Du spinnst wohl!" rief Hedwig ihm nach, aber die neugierige Monika überzeugte sich selbst und leistete dem Vater Gesellschaft. Warm – nun, das ist ja ein relativer Begriff, vielleicht hatte es drei oder vier Grad über Null und ein leichter Nieselregen machte den Aufenthalt im Freien nicht sehr gemütlich, aber wenn es drinnen zwischen den seit vier Wochen ausgekühlten Mauern vielleicht fünf Grad unter Null hatte, so konnte man es draußen fast für gemütlich warm halten. Trotzdem aber machte sich Karl
möglichst bald auf den Weg durch die Stadt zum Gaswerk, um die fehlenden Herdteile zu holen.
Die Ringe fand man nach einigem Suchen in der Werkstatt und gab sie ihm mit, aber ein Rohrknie war einfach nicht aufzutreiben. Man gab ihm also eine Bestätigung mit, daß er ein solches unbedingt benötige, und mit diesem Papier gelang es ihm, in einer Bezirksstelle des Wirtschaftsamtes bei einer etwas umständlichen, aber immerhin menschlich denkenden Sachbearbeiterin einen Bezugsschein über o,5 Kilogramm Stahl zu erhalten. Mit diesem Schein und gegen Zahlung von 60 Pfennigen bekam er in der dritten Eisenhandlung, die er aufsuchte, das so dringend benötigte Ofenrohrknie.
Gegen Mittag kam er damit nach Hause in der Hoffnung, daß nun bald ein lustiges Feuer im Herd flackern würde und rasch für seinen knurrenden Magen ein nahrhaftes Mittagessen bereit sein könnte. Aber was für eine Überraschung, als er die Wohnungstür öffnete! Nicht nur draußen, auch drinnen regnete es! Im ganzen Flur tropfte es von der Decke, der Fußboden war schon unter Wasser, und als Karl, der ja
glücklicherweise seinen Gummimantel anhatte, in die drei hinteren Regionen eindrang, da stellte er auch in der Küche und im Bad und in zwei von den noch unbewohnten Zimmern die gleichen ungewöhnlichen meteorologischen Verhältnisse fest.
"Ja, was ist denn da passiert?" fragte er ziemlich verdutzt, aber seine drei Frauen, die bis jetzt noch trocken, aber in steter Furcht vor weiterer Ausdehnung der Regenzone im kalten Wohnzimmer umherwirtschafteten, konnten ihm genau die Ursache der Überschwemmung angeben: der nördliche Teil des Hauses, wo die vielen Wasserleitungen für Küchen, Bäder und Klosetts lagen, war völlig eingefroren gewesen. Heute waren durch das Tauwetter einige von den Rohren wieder aufgetaut, aber ein Teil davon war durch das Eis geplatzt und hatte das oberste Stockwerk teilweise überschwemmt.
Es war gerade niemand zu Hause gewesen, das Wasser sickerte munter durch den Fußboden in den unbewohnten ersten Stock und konnte sich dort in aller Stille schön über die halbe Wohnung ausbreiten und als gleichmäßiger Regen in das Erdgeschoß niedergehen. Aber bald wurden die Tropfen
weniger, denn der mürrische Hausmeister, der im angebauten Kutscherhaus wohnte, hatte schon den Haupthahn tief im Keller abgesperrt.
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