Was war nun eigentlich los? Ob das Telefon wohl noch ging? Ja, es ging, und er rief den Chef an. Der sass mitten in der Stadt im Bunker des Gauleiters und freute sich, dass er durch die Frontlinie hindurch angerufen wurde und dass draussen alles in Ordnung war.
"Ja, sie sind doch schon im besetzten Gebiet, wissen sie das noch gar nicht? Hat sich bei euch noch niemand aus Amerika gemeldet? Die westlichen Vororte sind doch schon seit ein paar Stunden besetzt!"
"Aha, darum die Schiesserei heute Nacht – aber bei uns ist alles ganz ruhig geblieben, nur ein paar Infanterieschüsse jetzt eben."
"- teilweise sollen noch Strassensperren an den Bahnunterführungen sein, da hat man Eisenbahnwagen auf die Strasse hinuntergestürzt – aber mit denen werden die schweren Panzer schnell fertig sein und dann kommen wir dran –" er dämpfte die Stimme – "der General und der Gauleiter haben ihre Rucksäcke schon gepackt – sie, in dieser Nacht hab ich allerhand erlebt, das kann ich wohl sagen – wir beide sind nicht die einzigen, die durch die Front hindurch telefonieren, da haben sich gestern und heute schon einige Fäden angeknüpft, das ist gut für uns -"
Dann ein scharfer Knall – wieder Stimmen, dann ganz leise
der Chef: "Jetzt hat sich der Doktor Stahl in den Kopf geschossen – der stellvertretende Gauleiter – was ist denn nun los da vorn an der Tür – aha, da sind die Amis!" Im Hörer knackte es, das Gespräch war zu Ende, die Stadt war besetzt. Zu ENDE!
Das war es also, das qualvoll ersehnte, das fast nicht mehr möglich erscheinende ENDE.
ENDE der Todesangst versprach es den Überlebenden – kein ENDE ihrer Seelenqualen konnte es denen bringen, die ihre Liebsten verloren hatten.
HOFFNUNG bedeutete es denen, deren Verluste sich auf Hab und Gut beschränkt hatten.
Im ewigen NICHTS liess es die Millionen von Toten ruhen. Unvorstellbar die Bilanz des Krieges, unter die in diesem Augenblick der Abschlussstrich gezogen wurde – ein Zwischenabschluss war es nur, hier wurde er heute gezogen, woanders ein paar Tage später – unfassbar die Summe von Grauen und Greuel, die zerschmetterten,
erstickten, verbrannten, zu Tote gequälten, zu lebenden Leichnamen verstümmelten Menschen, die einst zufriedene oder nach Glück strebende Männer, Frauen, Kinder waren, von ihresgleichen ermordet worden, von MENSCHEN, von Wesen, die sich als Krone der Schöpfung betrachteten, die alle zur Liebe und zum Glück geboren waren!
Sollte ein solches Inferno unwiderrufliches Schicksal sein, gewollt von dem Gott, zu dem sie doch alle angeblich beteten, die Mörder wie die Gemordeten? Sollte es nicht möglich sein, Vernunft und Menschenliebe so weit zu erwecken und zu festigen, dass künftig solche Selbstvernichtung nicht mehr möglich wird?
Karl seufzte, als er in der beklemmenden Stille seines blanken Wohnzimmers solchen Gedanken nachhing.
Kann man noch einmal an eine bessere Zukunft glauben?
Schon zweimal in seinem Leben hatte Karl solche Zusammenbrüche einer Welt erlebt:
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