4 - Fünf Minuten vor Zwölf


Gewissermassen bestärkt wurden die Hoffnungen der Parteigenossen durch das Schicksal eines einzigartigen Transportes, der ein paar Tage später in das Werk einrollte.
Ein Lastzug war das, voll beladen mit 15 Tonnen Papier, und zwar nicht mit gewöhnlichem, sondern mit bedrucktem Urkundenpapier allerbester Qualität. Wer von den beiden Reichsbank-Inspektoren, die den Transport begleiteten, an die soliden Säcke herangelassen worden wäre, der hätte entdecken können, dass sie mit kostbarer Ware prall gefüllt waren: die sagenhaften Aktienpakete, von deren Besitzwechsel hie und da im Handelsteil der Zeitungen zu lesen war, die aber kaum ein Sterblicher je zu sehen bekam oder gar in die Hand nehmen konnte, hier waren sie wie Kohlen oder Kartoffeln auf einen Lastzug verladen - acht Milliarden an Wert, gute Goldmilliarden in einer Ladung!
Staab und Korn waren zunächst einmal sprachlos, als sie unverhofft einem solchen Milliardenberg gegenüberstanden. Nur ganz allmählich rafften sie sich zu der Frage auf, was die Herren von der Reichsbank mit diesen Reichtümern gerade hier anzufangen gedächten und wo sie überhaupt herkämen?
"Ja, das ist eine ganz besondere Geschichte und wir hoffen, dass sie hier ihren Abschluss findet" antwortete der ältere der beiden Beamten. "Was sie da sehen, das ist das Aktien-Sammeldepot der Deutschen Reichsbank. Es war bis vor kurzem friedlich in einem Tresor der Reichsbank Frankfurt gelegen - als dann die Amis ihre Fühler über den Rhein ausgestreckt haben, da hat man die ganzen Aktienpakete auf diesen Lastzug verladen und uns zwei damit nach Stuttgart geschickt. Dort besitzen wir nämlich auch ganz schöne Tresors. Aber wie wir dort ankommen, da schüttelt der Vorstand ganz entsetzt den Kopf.




Ob wir denn gar keinen Radio hörten, die Franzosen und Amis seien doch gestern schon über Pforzheim vorgedrungen! Wer weiss, ob sie nicht morgen schon in Stuttgart sind - und wir sollten schauen, dass wir uns nach Osten absetzen, nach München oder nach Wien oder wo wir sonst hinwollten, vielleicht gar zum Führer in die Alpenfestung.
Na, da sind wir eben mit unserer alten Karre auf der Autobahn weitergezockelt und als wir hier in der Nähe wieder mal halten mussten, da schaut unser Fahrer in den Tank und stellt fest, dass er höchstens noch 15 Kilometer fahren kann mit seinem Sprit - unterwegs hat es nirgends was zu tanken gegeben, alle Tankstellen leer, und da haben wir uns ans nächste Telefon gehängt, zuerst einmal wegen Sprit - aber es hat uns keiner was zu tanken gegeben, Transport von Aktienpaketen steht in keiner Dienstanweisung als lebenswichtig, haben sie gesagt - dann haben wir mit unserer Direktion in München gesprochen, die hätten ja sowieso nicht gewusst, was sie mit dem Segen hätten anfangen sollen, und da sind sie schliesslich auf den Ausweg gekommen: fahrt ins nächste Gaswerk - ruft aber zuerst den zuständigen Gauleiter an und wenn der nichts besseres weiss, so schmeisst den ganzen Plunder ins Feuer, ist ja sowieso nichts mehr wert und die Gasleute freuen sich, wenn sie Kohlen sparen damit. Und da sind wir nun!"
Staab und Korn sahen einander verblüfft an.
Staab hatte zuerst seine Antwort bereit:
"Ist ja technisch ganz unmöglich, bedenken sie, solche Mengen Papier würden ja den Ofenbetrieb völlig durcheinander bringen, alles verstopfen - auch die Transportanlagen sind auf solches Material in keiner Weise eingerichtet. Unmöglich, meine Herren!"
Korn schmunzelte, er begann schon zu überlegen, wie diese einzigartige Aufgabe technisch doch anzupacken wäre - und auch Herr Staab lenkte ein, als die beiden Reichsbankleute erklärten, dass es sich nicht um einen einfach ablehnbaren Wunsch von ihrer Seite handle, sondern um eine als "Geheime Reichssache" zu behandelnde strikte Anordnung des Gauleiters und Reichverteidigungs-Kommissars.
So kam es, dass zwei Tage lang die Stadt mit Gas versorgt war, das man aus den Aktien der verschiedensten Industriezweige erzeugte, angefangen von IG-Farben




über Deutsche Dynamit AG bis zur bescheidenen AG für Licht und Kraft und zur Baumwollspinnerei. In grossen Paketen wanderten die schönen Papiere in die Öfen; hie und da löste sich ein Stück aus den Bündeln und flog auf die Seite, aber die Bankbeamten passten scharf auf, dass ja kein Gasarbeiter was davon einsteckte.
Stundenlang schon hatten der Sepp Schedl und der Jakl Reiter ein Paket nach dem anderen in den glühenden Ofen geworfen, immer neue Säcke voll schafften die Hofarbeiter im Aufzug herauf.
"Ja nimmt dös denn gar kein Ende mehr" brummte der Jakl und warf wieder einen der Packen dem Sepp zu. Der passte nicht auf und das Packet platzte auf und die Papiere verstreuten sich auf den Boden. Ein Teil davon ging auf der heissen Ofendecke gleich in Flammen auf, andere Stücke stiess der Sepp mit dem Holzschuh ins Füllloch, aber eine ganze Anzahl hob der Jakl wieder auf und betrachtete sie interessiert.
"Sakra, dös sind die Richtigen! Löwenbräu München! Da wird ich mir gleich ein Packel mitnehmen!" grinste er.
"Gar nix wirst du" widersprach ihm der Sepp, "oder willst dich aufhängen lassen wegen den Fetzen! Hast es nicht gehört, wie es der Bankmensch vorhin gesagt hat – Todesstrafe wegen Wirtschaftsverbrechen, hat er gesagt, wer sich so ein Papier aneignet!"
"Ach was, so zwei oder drei nehm ich mir auf jeden Fall mit, als Andenken."
Und schon hatte der Jakl ein paar von den kostbaren Papieren in seinem Arbeitskittel verschwinden lassen.
"Na ja, ich wird dich nicht verraten! Aber tust mich nachher auch entsprechend beteiligen an deine Dividenden?"
"Beteiligen? Ja, du waarst guat – ja meinst wirklich, da könnt man später einmal Dividenden rauskriegen davon?"
"Probier’s halt, geh mal hin zum Löwenbräu und sags – hier bin ich, sagst ihnen, ich bin der neue Grossaktionär, da ist mein Aktienpaket!"
"Ja, auf eahna ham mir schon gwartet, werden sie dir sagen "
"Ach was – – hats doch der Beamte vorhin selber gesagt, dass die Aktien alle ganz genau aufgeschrieben sind, wem sie gehören, in jeder Reichsbankdirektion liegen die Listen davon, und es sozusagen ganz wurst ist, ob überhaupt die Aktien da sind oder



nicht – der Kapitalist kommt schon zu seiner Dividend, der auf jeden Fall –"
Der Jakl grinste: "Ja, meinst, die kriegen ja Dividende, wenn das Löwenbräu hin ist von den Bomben und macht kein Bier mehr! Oder wenn die Dynamitfabrik in die Luft gangen ist! Oh Sepp, ich mein, wir zwei werden unser Lebtag keine Kapitalisten!"
"Dann ists ja eh wurst, ob wir das Zeug verbrennen oder nicht!"
Der Aktien-Lastzug war so ziemlich das Letzte, was von aussen in die Stadt hereinkam. Weder Post noch Kohlen kamen an, der Bahnverkehr war ganz zum Erliegen gekommen, seit die Amerikaner bis auf 50 km der Stadt nahegekommen waren. Autos waren sowieso kaum mehr zu sehen.

Belegschaft (Karl 3. von rechts)


Der Volkssturm dagegen machte sich wichtig; wenn sie schon einmal Soldaten sein sollten, dann mussten sie auch Uniformen haben, das war doch klar; so leerte man die Magazine und lieferte dem letzten Aufgebot schöne feldgraue Joppen, Hosen und Mützen – zu Stahlhelmen reichte es nicht mehr – die Zugführer bekamen Lederanzüge, die, nach den mit Ankern verzierten Goldknöpfen zu schliessen, eigentlich für die Marine bestimmt und ausserdem für äusserst schlanke Leute



berechnet waren. Ein grosser Lastwagen kam mit diesen Ausrüstungsstücken eines vormittags ins Werk, auch an die Verpflegung hatte man gedacht und dafür auch einige Lager geleert, allerdings war da an die Gaswerks-Kompanie nur etwas an Wein und Zigaretten entfallen.
Korn liess gleich bekannt geben, dass um 13 Uhr alles zur Verteilung antreten solle. Inzwischen machte er sich an die letzten Vorbereitungen für den grossen Gesinnungswechsel: ein kleines Häufchen Papiere, Parteiausweis und ähnliches, ging in Flammen auf, das solid emaillierte Parteiabzeichen wurde im Garten vergraben, einiges andere wanderte noch unter das Gartenhaus-Dach.
Nach dem kargen Mittagessen ging Karl wieder ins Büro und brachte von dort noch etliches Material ins Kesselhaus zum Verbrennen; der Heizer war gerade dabei, ähnliche verfängliche Dinge ins Loch zu schieben, von den Meistern und vom Büro, dazu auch noch ein paar Braunhemden und Parteimützen. Auch eine schwarze Uniformhose lag da, aber die legte der Heizer zunächst einmal auf die Seite und als Korn das Kesselhaus wieder verlassen hatte, da fand er schnell ein Versteck dafür: "Wäre ja direkt schad um den schönen Stoff!"
Inzwischen warteten die Kollegen auf dem Hof beim Büro auf die Verteilung der Uniformen, standen da ungeduldig und schauten misstrauisch rundum, ob nicht irgendwo am blauen Himmel ein paar Tiefflieger oder gar ein Bombengeschwader auftauchen und sie in die Keller jagen würden. Die waren aber diesmal gnädig, doch der Kompanieführer des Volkssturmes liess auf sich warten. Zweimal schickte man einen Boten in seine Wohnung, um zu fragen, was mit ihm los sei, bekam aber keine Auskunft. Da endlich, bald 14 Uhr war es, kam Herr Wagner an, hinter ihm ein Arbeiter mit einer Zweiradkarre – die war voll beladen mit all dem Material, das der Herr Wagner in seiner "rückhaltlosen Treue" aus seiner Wohnung entfernen zu müssen glaubte: grosse Haufen von Broschüren und Zeitschriften, die ganze weltanschauliche Schulung, das alles sah einem feurigen Ende entgegen, dazu die Uniform des politischen Leiters und sogar der Ehrendolch mit der Aufschrift von Ehre und Treue.
Lächelnd sah die Gefolgschaft zu, wie ihr Volkssturmführer dem Kesselhaus zumarschierte, und wartete geduldig weiter, bis er nach zehn Minuten sichtlich erleichtert wieder auftauchte und sich freundlich lächelnd an die Verteilung der




Uniformen machte. Plötzlich fuhr wieder ein Wagen am Tor vor:
"Wo ist der Volkssturmführer?" fragte ein ziemlich schäbiger Zivilist, der am Steuer des kleinen Lieferwagens sass. Herr Wagner meldete sich und der Mann deutete mit grossartiger Gebärde auf die Pritsche:
"Da hamms ihre Waffen für den Volkssturm! Lassen sie‘s abladen, das Geraffel!" Die Gaswerksleute, mit ihren neuen Uniformen auf dem Arm und ihrer Weinflasche in der Hand, schauten misstrauisch und erschrocken:
Waffen auch noch, sollte es jetzt wirklich im letzten Augenblick noch ernst werden? Das wäre doch zu viel, mit so gefährlichen Dingern in der Hand das Leben aufs Spiel zu setzen! Auf Wagners Wink machten sich die drei nächststehenden Männer daran, den Wagen zu entladen; mit Geschepper und unter knurrenden Bemerkungen warfen sie zehn verrostete Infanteriegewehre italienischer Herkunft aufs Pflaster.
"Ist das alles? Und wo ist die Munition dazu?" fragte Wagner aufgeregt und sah schon späten Heldenruhm auf sich zukommen.
"Ist mir nix bekannt! Wiedersehen!“ rief der Fahrer, schon hatte er seinen Wagen gewendet und war zum Tor hinaus.
Erleichtert schmunzelten die Männer, Wagner trat nervös von einem Fuss auf den anderen und überlegte, wohin mit den Waffen.
"Herr Ingenieur", fragte der Kraftfahrer Muckelbauer, "Herr Ingenieur, sollen wir die Dinger vielleicht erst noch putzen-"
"reinigen, ist der soldatische Ausdruck" korrigierte ihn Wagner.
"na ja, also dann reinigen, bevor wir sie wegschmeissen?"
Bevor aber Wagner damit zu Ende war, sich eine treffende Antwort auf Muckelbauers disziplinlose Frage zu überlegen, wurde er des weiteren Nachdenkens vorläufig enthoben. Beim Pförtner schrillte das Telefon.
"Volkssturm-Kommando ist am Apparat! Herr Wagner, bitte!"
Eilfertig lief der Gerufene in die Pförtnerstube. Tatsächlich, der oberste Volkssturm-Führer der Stadt war am Apparat.
"Sie, Herr Wagner" kam die durchaus nicht militärisch schneidige, sondern recht gemütliche Stimme des Berufsschullehrers Moosbrugger, derzeitig Volkssturm-Kommandant, aus dem Hörer.




"Sie, hamms die zehn italienischen Gewehre gekriegt?"
"Jawohl, sind eben eingetroffen, Herr Major, aber wo bleibt die Munition?"
"Haben wir keine, haben wir nicht. Macht aber nix, macht gar nix! Jetzt passens auf, Herr Kamerad: sie ham doch gehört von dem neuen Signal Feindalarm; also, wenn dös Signal ertönt – und dös wird sicher bald sein – alsdann schickens ein paar von ihren Leuten in ihre Werkstatt und sagens ihnen, sie sollen den grössten Vorschlaghammer nehmen und die Latten kurz und klein schlagen – und dann ists sowieso aus mit dem Volkssturm. Hams mi verstanden?"
"Jawohl, Herr Major, ich wiederhole Befehl: bei Feindalarm Waffen des Volkssturm vernichten!"
"Ja, so ists, und das wird hoffentlich mein letzter Befehl gewesen sein beim Volkssturm! Werden ja nicht sagen können, dass ich euch viel lästig gewesen bin mit Befehlen! Auf Wiedersehen in besseren Zeiten!"
Sichtlich erleichtert trat Wagner hinaus zu seinen Mannen.
"Da steht ja noch die Karre, laden sie die Gewehre auf und bringen sie diese in die Werkstatt!"
" Dass ichs gleich richtig bekannt gebe:
Befehl vom Volkssturmkommando: wenn das Signal Feindalarm ertönt, sind sämtliche Waffen des Volkssturms in der Werkstatt zu zerschlagen. Muckelbauer, sie sind mir verantwortlich für die sorgfältige Ausführung des Befehls!"
"Jawohl, Herr Wagner, wird gemacht! Wüsste nicht, was ich lieber täte" brüllte Muckelbauer, "Bravo" riefen einige von den Arbeitern und die meisten machten sich mit ihren Bündeln auf den Heimweg.
"Alles wegtreten" rief ihnen Wagner noch nach, der Ordnung wegen, und wandte sich dann mit einer Miene, die deutlich besagte "hab ich das nicht gut gemacht" zu Staab und Korn, die – als in diesem Falle sozusagen Untergebene ihrer Untergebenen – die ganze Zeit schmunzelnd, aber wortlos beiseite gestanden waren.
Korn meinte: "Nun, das ist ja gut hinausgegangen. Ich glaube ja, von sonstigen Zerstörungsmassnahmen können wir absehen – oder haben sie noch besondere Weisungen bekommen, Herr Oberbaurat? Übrigens, ich bitte auch um Entschuldigung, dass ich mich vorhin etwas verspätet habe, aber ich musste wirklich vorher noch meine Parteiangelegenheiten ordnen. Jeder ist sich schliesslich selbst



der nächste – bei aller Verehrung für unseren Führer. Aber er ist schliesslich auch nur ein Mensch wie unsereiner, und kann keine sinnlose Aufopferung verlangen – Disziplin muss sein, aber man hat ja Weib und Kind, und das Wohl und Wehe der eigenen Familie geht ja wohl vor –"
"Stimmt, sie haben schon recht" fiel ihm Staab ins Wort, "und wegen besonderer Weisungen machen sie sich keine Sorgen! Da haben höhere Stellen schon Vorsorge getroffen – glauben sie etwa, unsere Stadt will sich noch mehr hinmachen lassen als es schon geschehen ist?"
"Und meinen die denn" fügte Korn hinzu, "wir werden das Gaswerk oder gar das Wasserwerk in die Luft sprengen lassen? Solch ein Unsinn, was ein paar Fanatiker da den Leuten in den Kopf setzen wollen – Politik der verbrannten Erde und so ein Zeugs – da möchten wir uns ja am besten gleich selber alle mit verbrennen!"
Korn machte einen Rundgang durchs Werk und stieg wieder auf den Wasserturm. Oberwerkmeister Piffke schloss sich ihm an und schweigend stiegen sie über steinerne Treppen und eiserne Leitern bis oben unters Dach, wo der Blick aus kleinen Fenstern weit über Stadt und Land ging.

Gaskessel hinter blühenden Obstbäumen






Der Himmel war sehr blau, mit den Wattebäuschen der Cumuluswolken behängt, schon richtig sommerlich; Wiesen und Gärten schon grün angehaucht und eine förmlich unwirkliche Ruhe lag über der Landschaft. Kein Eisenbahnzug, kein Auto zu hören, das dumpfe Summen und Brummen der Fabriken war verstummt; das Gaswerk, zwar noch in Betrieb, aber mit ganz geringer Leistung, lag ganz still.
Der alte spitzbärtige Piffke, dessen blauer Seemannsblick die kleinste Bewegung erspähte, entdeckte Menschen, die sich auf der Strasse von der Stadt her dem Werk näherten, hintereinander, im Gänsemarsch!
"Uniformen, das sind Soldaten; und in der Hand haben ein paar davon irgend etwas besonderes – was ist das nur? Jetzt kommen sie näher, Panzerfäuste sind das, was sie in der Hand haben."
Die Soldaten, zehn Mann zählte Korn, verschwanden hinter der strassenseitigen Mauer des Werkes.
"Ob die wohl ins Werk hereinwollen?"
"Ich seh mal nach" entgegnete der alte Piffke und schon war er wie ein Junger über die Leitern hinabgeturnt und kam nach fünf Minuten wieder; sein Marineglas brachte er auch mit.
Die sonntagsmässige Stille war inzwischen für einige Minuten unterbrochen worden; ein paar Jäger waren dröhnend in der Nähe vorbeigebraust, Flakbatterien hatten ihnen ohnmächtig nachgebellt, die schwarzen Wolken der Detonationen standen eine Weile reglos am Himmel. Die Jäger, für einen Augenblick verschwunden gewesen, tauchten in der Ferne wieder auf, man hörte deutlich den hellen Ton ihrer Bordwaffen.
"Scheusslich, da ist wieder ein Bauernhof hin" seufzte Piffke und richtete sein Glas auf die Wolke.
"Feuer sieht man unten am Boden, sicher eine volle Scheune, die da so plötzlich hochgebrannt ist!"
Weit entfernt davon stieg wieder eine solche Wolke auf- totenstill lag danach die Welt wieder da, über den grünen fruchtbaren Feldern standen die beiden missfarbenen Wolken wie Signale eines im Augenblick unsichtbaren Infernos.
"Ja – was können wir dran ändern? Aber was ist denn los mit den zehn Soldaten?" fragte Karl.
"Ach so- die sind am Werk vorbei ins Feld marschiert, die sollen uns wohl gar noch



verteidigen?"
"Ins Feld marschiert – das klingt ja ganz poetisch, wie anno 1870/71!"
"Werden sich nicht gerade poetisch fühlen, die armen Kerle!"
Piffke richtete sein Glas auf die Wiese hinter dem Werk und richtig entdeckte er nach einigem Suchen bewegte Punkte in grossen Abständen voneinander.
"Hier, sehen sie mal durch, die graben sich in der Wiese ein!"
"Tatsächlich, das ist ja grossartig, zehn Mann haben sie eingesetzt, den Abschnitt Gaswerk gegen die siebente amerikanische Armee zu verteidigen! Alle fünfzig Meter ein Mann, wunderbar!"
Korn und Piffke sahen einander an, wussten nicht ob sie lachen oder weinen sollten – da plötzlich zogen sie die Köpfe ein und gingen hinter der dicken Mauer in Deckung. Ein infernalisches Heulen war auf vier dumpfe Abschüsse gefolgt, unmittelbar über ihre Köpfe weg, und einen halben Kilometer entfernt detonierten mit einem für die Ohren von Heimatkriegern wirklich markerschütterndem Krachen vier Granaten. Weiter war nichts zu sehen, nur die schwarzen Wölkchen, die im Wind rasch weiterzogen und sich auflösten – danach war alles wieder so still wie vorher.
"Allmählich wird’s Zeit, dass wir uns wieder nach unten begeben" stellte Korn fest und sie stiegen hintereinander die Leitern und Treppen hinab, immer gefasst auf eine neue und vielleicht näher einschlagende Salve jener Batterie.


















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