So in zwei, drei Monaten hatten wir das alles geschafft – aber, was denkst du, haben
die Leute dann gemacht?
Krach haben sie angefangen untereinander. Statt sich über ihr schönes Gelände zu freuen! Waren eben doch meistens nicht die Richtigen – ich war ja schon ein Jahr vorher nicht schlecht erschrocken, wie ich die bunte Gesellschaft zum ersten Mal nicht draussen am Fluss, sondern in der Stadt im Nebenzimmer von so einer Kneipe beisammen gesehen hatte – bei Bier und Gänsebraten, mit Zigarren und hohen Stehkragen und Stöckelschuhen und Kreissäge-Strohhüten – na, und es waren nicht wenige, die diesen Lebensstil auch hier draussen einführen wollten: Saufgelage in der Geländehütte und solche Sachen – da haben wir uns natürlich gewaltig gewehrt dagegen und es gab einiges hin und her, Hinauswürfe und Rücktritte und so." " Aber, Moment, das kann doch nicht ganz stimmen!" wunderte sich Christof. "Da hab ich doch im "Schwarzen Korps" so schöne Aufsätze gelesen über Probleme der Rassenhygiene, über die Schönheit und Reinheit des nackten menschlichen Körpers, mit Bildern sogar ..."
"Papier ist geduldig!"
" – und bei einem Freund hab ich auch vor Jahren schon Hefte gesehen von einer Zeitschrift, ich glaube "Deutsche Leibeszucht" oder so hat sie geheissen, mit Holzschnitten von nackten Menschen auf dem Umschlag und mit Photos von ebensolchen an der See und im Gebirge – und sogar Bücher solls geben von der Art, da hat ein Major Suren eines geschrieben: "Mensch und Sonne"...
"Stimmt, und ein anderer Berliner schrieb ein Buch "Dein Ja zum Leibe" mit vielen Bildern und in der Zeitschrift, von der du gesprochen hast, kannst du sogar Bilder sehen, die hier auf diesem Fleck gemacht worden sind ..."
"Ists möglich? Und dann noch der Führer selber und die Eva Braun? Man hört doch manchmal so was, die wären auch dafür ... Alkoholgegner und Vegetarier soll er ja auch sein!"
Karls Miene verfinsterte sich. Ilse spitzte neugierig die Ohren.
"Das steht auf einem andern Blatt. Habe auch schon dies und das reden hören – aber ich möchte jetzt nichts dazu sagen – vielleicht später mal! Also auf jeden Fall, 1933
mussten wir ganz unten durch, Kulturbolschewiken sagte man zu uns. Sie haben uns sogar einmal eine halbe Stunde lang verhaftet, als wir eine Versammlung im Restaurant „Weisse Schleife“ gehalten haben – mussten uns aber wieder laufen lassen, konnten nichts mit uns anfangen. Die Polizeidirektion war damals noch nicht braun genug, der Direktor hat mir sogar nach zwei Tagen meine beschlagnahmten Bücher und Zeitschriften mit Entschuldigung wieder bringen lassen. Jahre später erst hab ich gehört, was damals wirklich gespielt worden war: da war im Nebenzimmer die kommunistische
Arbeiterjugend versammelt gewesen, die hätte man ausheben wollen! Hatten sich aber rechtzeitig verzogen – so wars, die Nackten und die Roten unter einem Dach!
Der Vorstand ist damals der Fritz Lechner gewesen – weisst du, dem jetzt noch das Nachbargrundstück gehört – ein Kerl wie ein Baum und treu, ganz zuverlässig und ordentlich. Der Fritz, dem ists nachher noch schlechter gegangen, der ist von eigenen Vereinsgenossen denunziert worden, hat Strafe bezahlen müssen und hat so viele Unannehmlichkeiten gehabt, dass er heute noch die Nase voll hat davon! Nie wieder Verein, dabei ist er geblieben – ist uns immer ein guter Nachbar gewesen und ists heute noch, aber von Organisationen, gleich welcher Farbe und Firma, will er nie mehr was wissen!"
"Und ihr selber, was habt ihr denn angefangen, wie alles so auseinandergejagt war? Zur SA seid ihr ja sicher nicht gegangen, so wie ich euch kenne, und zur SS auch nicht?"
"Ja, das war zuallererst nicht so einfach – wir haben uns in den Schoss der Kirche geflüchtet!"
"Schoss der Kirche? Hab noch nie was gemerkt, dass ihr Kirchenleute seid!"
"Sind wir auch damals nicht gewesen! Aber es gibt auch unter den Kirchenleuten Menschen, die nicht nur aufs Gebet- und Gesangbuch sehen, sondern auf den ganzen Menschen – und wir haben das Glück gehabt, dass wir keine Viertelstunde von unserem Gelände entfernt zwei solche Kirchenleute gefunden haben – Geistliche sogar waren es – die hatten zugegeben, dass der Herrgott die Menschen nackt geschaffen hat und dass sie sich deshalb nicht zu schämen brauchen, wenn sie sich mit ihren Frauen und Kindern nackt in der Sonne vergnügten – in einem versteckten Winkel drüben am Fluss hatten sich die ein Eckchen Land vom Flussbauamt
gepachtet."
"Und da habt ihr euch bei denen angeschlossen und dort hat es keine Schwierigkeiten gegeben?"
"Ja, dort waren wir einen Sommer lang gern gesehene Gäste – und bemerkt hat man wohl in der Öffentlichkeit nichts davon!"
"Und bei euch selber, hat man euch nichts weiter in den Weg gelegt?"
"Wegen der Freikörperkultur an sich nicht direkt – indirekt aber schon! Weisst du, es war damals keine schöne Zeit für einen, der vom Nationalismus nie was gehalten hat oder gar einmal eine Zeitlang auf eine sozialdemokratische Zeitung
oder auf die „Welt am Montag“ abonniert gewesen war! Das hat genügt für manche Anpöbelung und Verdächtigung und ich hab manchmal heimlich gezittert, wenn die Wohnungsklingel zu einer ungewöhnlichen Zeit geläutet hat. Wie mancher ist in diesen Monaten bei Nacht und Nebel abgeholt worden und verschwunden, wer weiss wohin?
Wie man damals überwacht und bespitzelt worden ist, das haben wir zum Beispiel ein Jahr später gemerkt, wie wir angefangen haben, uns auf diesem Grundstück hier einzurichten.
Wir sind nämlich allmählich daraufgekommen, dass es ja hier auch ganz nett wäre, haben uns also zunächst einmal nach einem eigenen Dach über dem Kopf umgesehen und auch bald eine handliche Hütte gefunden, auf eine Zeitungsanzeige hin. Die Hütte stand nagelneu in einem Garten weit draussen vor der Stadt, wurde preiswert abgegeben samt Tisch, Pumpe und Schubkarre und der Verkäufer hat uns auch ein Fuhrwerk besorgt und uns versprochen, dass er uns beim Zusammenbau hilft. Also haben wir ihn an einem Sonntag gegen Mittag abgeholt in seiner Vorstadtwohnung und sind in unserem kleinen offenen Opel hier herausgefahren.
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