29 - Letzte Anstrengungen
Bei jeder grossen Sache tritt irgendwann einmal ein toter Punkt auf – und wie bei jedem Neubau zeigte es sich auch hier, dass der Innenausbau am meisten Zeit und Nerven kostet. Karl wurde gebremst durch einen kleinen Hexenschuss, den er sich geholt hatte, als er nach einem Wettersturz zu leicht bekleidet ins Dorf geradelt war. Er wollte beim Spengler Rohre für die Wasserpumpe in der Küche holen und ein Ausgussbecken aus einer im Tausch gegen Textilien erworbenen Blechtafel machen lassen.
So ergab sich eine Woche der Vorbereitungen, in der noch allerhand zu beschaffen war: Latten und Bretter holte Karl im Sägewerk, deren Besitzer sein altes Auto fuhren. Eine kleine Ladung alte Ziegelsteine stiftete ihm sein Chef Halbeck, der Bauer Hofer brachte aus Erling weitere Ziegelsteine, ungebrannte! Gebrannte waren ohne Kohlelieferung nicht zu bekommen. Ein anderer alter Bauer aus dem Dorf karrte eine Fuhre Sand an. Auch ein paar Säcke Zement, Kalk und sogar Schamotte liessen sich mit einiger Mühe auftreiben. Ferner liess sich ein Schlossermeister dazu bewegen, für die fünf Fensterläden, die zur grösseren Sicherheit nachträglich angebracht werden sollten, die Beschläge anzufertigen.
Bei den Transporten half ihm der „Schimmelmaler“, das war ein junger Malermeister, der sich in dem alten Bauernhof neben Halbecks Werkstatt niedergelassen hatte und einen kleinen Schimmel und eine zweirädrige Karre besass, mit der er mit seinem Handwerkszeug in den Dörfern herumfuhr und gegen Natural-Entlohnung die Häuser ausmalte.
Als alles Baumaterial beschafft und auch das Kreuz des Bauherrn wieder ganz gerade war, baute Karl erst einmal aus den ungebrannten Steinen eine Rückwand für den Herd und verputzte sie, so gut er es fertig brachte, dann machte er sich an die
schwierigste Arbeit: den Bau des Schornsteins, des atmenden Mittelpunktes, der Seele des Hauses sozusagen.
Da es keine Ziegelsteine zu kaufen gab, aus denen man ja früher normalerweise die Schornsteine gebaut hatte, so musste Karl die schon vorhandenen winkelförmigen Betonsteine verwenden. 30 Stück davon gaben die nötige Höhe von fünfeinhalb Metern, immer zwei Stück aneinander gesetzt. Leider war es nun so, dass diese zwei Steine als inneren Querschnitt weder ein Quadrat noch einen Kreis ergaben, sondern dass immer zwei einander gegenüberliegende innere Ecken abgerundet und zwei rechtwinklig waren. Da nun die Steinlagen im Verband gesetzt werden mussten, um den Schornstein standfest zu machen, ergaben sich im Innern unzählige tote Ecken – ganz unmöglich für einen Kamin, durch den die Rauchgase reibungslos hinaufziehen sollten. Das Einfachste wäre es natürlich gewesen, ein Blechrohr einzusetzen – aber damals war ja gar nicht daran zu denken, dass man so etwas zu kaufen bekäme. So folgte denn Karl dem Rat eines Ofenbauers, das Innere des Schornsteines recht schön glatt und rund auszuschmieren mit einer Mischung aus Lehm und Schamotte!
Das klappte auch ganz gut, solange der Schornstein neu und das Wetter trocken war, aber als dann im nächsten Jahr eine regnerische Zeit kam und der Wind den Regen unter dem Blechhut ins Kain blies, geriet die noch nie völlig getrocknete Lehm-Auskleidung ins Rutschen. Die lichte Öffnung des Kamins wurde immer kleiner und man konnte es im Hause vor Rauch kaum mehr aushalten. Jeden Tag musste Karl aufs Dach steigen und mit einer langen Stange in dem herabgerutschten Lehm herumbohren. Als dann schliesslich die ganze Auskleidung in kleinen Portionen unten aus dem Reinigungstürchen herausgeholt war, ging es etwas besser mit dem Heizen, aber heilfroh war man doch, als es die Währungsreform 1948 möglich machte, ein drei Meter langes Ofenrohr zu kaufen und es von oben in den Kamin zu schieben, da waren mit einem Schlage alle Schwierigkeiten behoben.
Aber von all diesen künftigen Beschwernissen hatte Karl ja noch keine Ahnung, jetzt ging es erst einmal darum, den Schornstein überhaupt einmal aufzubauen, da traf es sich ganz prächtig, dass eines Abends der Christof mit seinem Schwesterchen Elsi angeradelt kam und dass sich die beiden am nächsten Mittag draussen bei Karl als
Hilfskräfte meldeten.
Sie schlugen auf der Wiese ihr Zelt auf und nun ging es vorwärts mit dem Kaminbau. Christof packte als Fachmann zu, worüber Karl sehr froh war, denn das Hinaufstemmen der Steine, von denen jeder gerade einen halben Zentner wog, ging ihm gerade bis an die Hexenschussgrenze. Je höher der Kamin wuchs, desto schwerer wurde es, die Steine von einem Bock des behelfsmässigen Gerüstes zum nächsten zu heben.
Jetzt aber wurde man rasch mit dieser Schwerarbeit fertig, dann wurde oben aus zerbrochenen Dachplatten eine Abschlussplatte hinaufgebastelt und zuletzt ein Blechhütchen, das Karl eines Tages noch in der ausgeplünderten Flakstellung gefunden hatte, darauf gesetzt. Dann putzte Christof das Loch im Dach rings um den Schornstein dicht zu, verputzte auch unten in den Zimmern alles schön glatt, und nun konnten Ilse und Monika (bei der inzwischen die Ferien begonnen hatten) mit ihren Luftmatratzen und Schlafsäcken kommen und ihr neues Schlafgemach beziehen.
Sie waren schon recht froh darum, dass das ewige Gerenne und Fahren hin und her, mit Rucksäcken, Taschen und Töpfen, ein Ende nahm. Ilse musste ja immer dafür sorgen, dass alle ihre Schwerarbeiter zu essen bekamen und nicht schwach wurden.
Einmal war sie sogar mit dem Rucksack durch etliche Dörfer gelaufen mit der Absicht, bei den Bauern Brot zu kaufen, oder wenn sie Glück hätte, vielleicht gar ein kleines Stückchen Butter, aber sie kam ganz niedergeschlagen nach Hause.
Kein einziger Bauer hatte ihr auch nur ein halbes Pfund Brot verkauft. Wohl war der Rucksack ziemlich voll geworden, aber in jedem Hof hatte man ihr nur ein kleines Stückchen Brot abgeschnitten und geschenkt, und als sie matt und müde mit ihrem Bettelsack wieder zu Hause war und berichtete, kamen ihr fast die Tränen.
Da ging sie lieber wieder zum Ährenlesen, sobald die ersten Getreideäcker abgeerntet waren; das war zwar mühsam und wenig ergiebig, aber es gab doch für
ein paar Winterwochen eine nahrhafte Morgensuppe. Moni und Elsi halfen ihr dabei und auch Hedwig, wenn sie Zeit hatte. Ebenso beim Sammeln von Brombeeren, die es in diesem heissen Jahr am Fluss besonders reichlich gab.
Der Möbelwagen war schon längst bestellt. Jetzt in den letzten Julitagen wurde im Neubau noch alles geputzt und geschrubbt, sodass das weisse Holz der Wohnkiste
fast glänzte.
Vorher war schon monatelang geplant und ausgemessen worden, um festzustellen, was nun eigentlich alles mitkommen musste. Klavier, Buffet, der runde Ausziehtisch für 10 Personen und anderes Inventar der Bürgerlichkeit musste zurück bleiben, die Bücher mussten dagegen natürlich alle mitkommen.
Was aber mit der Eispalast-Wohnung machen? Hitzige Debatten wurden darüber geführt. Ilse und Hedwig wollten sie auf keinen Fall aufgeben und vorläufig brauchte man sowieso den grössten Teil davon, um den zurückbleibenden Zivilisations-Ballast unterzustellen.
Wenn man aus einer Dienstwohnung mit zweihundert Quadratmetern kam und sich künftig mit 55 Quadratmetern begnügen sollte, war die Unterbringung der vielen Sachen nicht so einfach.
Auf die Dauer war es natürlich nicht möglich, die ganze Stadtwohnung zu halten: erstens wegen der hohen Miete, zweitens wegen der ganzen amtlichen Wohnraum-Bewirtschaftung, Zuzugsgenehmigung und so weiter, die der Familie in Zukunft noch allerlei Kopfzerbrechen bereiten sollte.
So stellten sich Korns vorläufig als Wunschbild vor, dass Hedwig, als in der Stadt „Werktätige“, das grosse Eckzimmer als Wohnraum behalten sollte – die übrigen Räume sollten dem Wohnungsamt als Tauschobjekt für in Erling wohnhafte Flüchtlinge angeboten werden.
In der letzten Woche vor dem Umzug kam auch Hedwig jeden Tag herausgeradelt, sobald sie Feierabend hatte und machte gerne mit Christof einen Spaziergang durch die Auen.
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