28 - Auf gehts mit dem eigenen Häuschen
Pfingsten war herrliches Wetter und der Karbunkelkopf war auch allmählich wieder in Ordnung gekommen. So konnte Karl sich wieder an eine grössere Arbeit machen, er setzte das Fundament für den Kamin in die Mitte des Hauses und betonierte es aus – keine leichte Arbeit, wie sich denken lässt, und auch genau zu nehmen mit Schnur und Wasserwaage.
Da Karl jetzt dauernd draussen auf der Baustelle blieb, ging das Werk flott weiter. Die Nächte waren kurz und der Tag lang, und irgend ein verrückter Mann in der Militärregierung hatte Hitler übertrumpft und den Deutschen die „doppelte Sommerzeit“ beschert: das war so zu verstehen, dass im Sommer die Uhren nicht nur, wie in den vorhergehenden Jahren, um eine, sondern gleich um zwei volle Stunden vorgestellt wurden.
Karl und Ilse bei der Mittagsrast |
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Für bauwütige Siedler war diese doppelte Sommerzeit eine feine Erfindung, denn wenn sie nachmittags um 4 oder 5 Uhr mit ihrer Privatarbeit anfingen, so konnten sie sechs oder mehr Stunden an ihrem Bau arbeiten – wenn es die körperlichen Kräfte aushielten. Auf jeden Fall war es im Juli bis dreiundzwanzig Uhr hell.
Karl nutzte das auch weidlich aus, getreulich unterstützt von Ilse, die jeden Tag kam, um ihm das Essen zu bringen, meist begleitet von Monika. Der Kraftersparnis wegen fuhren sie jetzt meist mit der Bahn. Hedwig war oft nur an den Wochenenden zu haben, an den längsten und schönsten Abenden kam sie aber manchmal um sechs oder sieben Uhr nach, fasste dann aber um so kräftiger bei der Schwerarbeit zu.
Nun ging es ans Holzwerk.
Die Fundamentpfähle und die Mauern des kleinen Kellers standen. Jetzt wurden die zehn Lagerbalken mit Karbolineum gestrichen – oh dieser herbe Teergeruch, dem Vater war er angenehm und aus seinem früheren Beruf vertraut, die drei Frauen mochten ihn nicht gerne. Kaum getrocknet wurden sie auf die Pfähle aufgelegt und mit einem riesigen Nagel befestigt. Dann ging es an die Fussbodentafeln. Das waren ziemlich grosse und schwere, acht Zentimeter starke doppelwandige Platten aus zölligen Brettern.
Auch sie wurden auf der Unterseite mit Karbolineum gestrichen und dann so waagrecht wie möglich auf die Balken aufgelegt und angenagelt. Bei dieser Arbeit ergaben sich schon die ersten Schwierigkeiten: die Tafeln waren nicht sehr genau gearbeitet, man musste viel rücken, verschieben und ausgleichen, damit man nicht da und dort fingerbreite Fugen und grobe Unebenheiten im Fussboden hatte.
Aber mit einiger Mühe wurde es geschafft und als der letzte Nagel eingeschlagen war, klatschte Ilse angesichts der hellen, sauberen, quadratischen Fläche entzückt in die Hände:
„Ein Tanzboden, herrlich!“
Alle stimmten in den Jubel ein und die drei Grazien legten mit Tralala und Solala auf das nagelneue Parkett einen schwungvollen Walzer, der bald unter Vaters Beteiligung in eine Art Indianertanz überging. Dann klatschte der Chef, etwas ausser Atem geraten, ebenfalls in die Hände und rief: “Feierabend, für heute ists genug geschafft!“ und stürzte sich ins Wasser und danach auf das Abendessen. Dann legte er sich in
seine alte Hütte zur wohlverdienten Nachtruhe, während seine Helferinnen schleunigst zum Bahnhof eilten, denn um dreiundzwanzig Uhr ging der letzte Zug in die Stadt. Schon einmal hatten sie den versäumt und waren dann, an den Geleisen
entlang wandernd, erst um ein Uhr nach Hause gekommen.
Am nächsten Tag ging es dann an das Aufstellen der Wandtafeln. Das waren doppelwandige Platten aus gehobelten Brettern, 230 Zentimeter lang und 125 Zentimeter breit – also nicht gerade sehr handlich für junge oder gar für schon etwas ältere Damen.
Zu dritt konnte man so ein Ding gerade noch mühsam schleppen und Ilse wollte fast verzagen, denn neununddreissig solcher Platten wollten als Aussen- und Zwischenwände aufgestellt werden. Aber Karl nahm den Fahrradanhänger, setzte auf
dessen Kasten einen zweiten Bretterrahmen und nun war es möglich, die Platten eine nach der anderen wagrecht liegend auf den Fussboden hinauf zu fahren und durch einfaches Abkippen senkrecht zu stellen. Vorher war am Rande der Bodenplatte ein profilierter Balken aufgenagelt worden, das sogenannte Rähm, das nach oben eine schmale Leiste herausragen liess. An diesem Rähm fand die Tafel mit ihrer unteren Nut Halt, gegen das Umkippen wurde sie vorläufig durch eine schräg angenagelte Latte gesichert.
Auf diese Weise waren in kurzer Zeit sechs Tafeln nebeneinander aufgestellt, eine davon mit Fensteröffnung. Nun wurden noch die Fugen dazwischen durch von oben eingeschobene dünne Federleisten abgedichtet, dann wurde auch oben ein Rähm aufgesetzt und festgenagelt – und schon war die eine Wand des Hauses fertig!
Am nächsten Abend ging es an die zweite Aussenwand, dann folgten die Innenwände und danach die zwei letzten Aussenwände. Das ging immer flotter, man musste nur aufpassen, dass die Platten mit den Tür- und Fensteröffnungen an den richtigen Stellen und nicht verkehrt herum eingebaut wurden. Aber es klappte wider Erwarten schnell – nur einmal klappte es im wörtlichen Sinn, als beim Aufsetzen der Rähme ein paar Tafeln umkippten, sodass die Helferinnen gerade noch mit entsetztem Schrei beiseite springen konnten.
Aber auf jeden Fall, als die Woche zu Ende ging, standen die Wände des Hauses fest und sicher und man sah schon, was es werden sollte.
Jetzt aber kam ein schwierigeres Problem: das Giebeldach, zweieinhalb Meter hoch
und acht Meter breit, sollte getragen werden von sieben aus Brettern zusammengenagelten Bindern, die am Boden aus je zwei Hälften zusammengesetzt
und dann im Ganzen auf die Wände hinaufgestellt werden mussten. Die meisten Sorgen machten dabei die beiden Giebelbinder, die schon die Verschalung aus leichten Brettern trugen und dadurch besonders unhandlich waren.
Karl hatte schon die ganze Woche hin und her überlegt, wie das mit vier Leuten zu schaffen wäre: fast fünf Meter hoch über den Erdboden musste ja die Spitze des Giebels hochgebracht werden – da musste ein Hebezug her! Es war gut, dass dicht vor der Mitte des hinteren Giebels eine kräftige Fichte stand: Karl drechselte sich in der Werkstatt eine kräftige hölzerne Rolle und liess sich von daheim das gute
Dreissigmeter-Bergseil mitbringen. Dann kletterte er auf die Fichte hinauf, band seine Rolle an einem dicken Ast fest und zog das Seil durch.
Der Dachgiebel wurde zur Wand getragen, dort angelehnt und mit der Spitze an das Seil gebunden. Die drei Frauen am anderen Ende des Seiles zogen mit „Hoo Ruck!“ den ganzen Binder hoch, während Karl mit einer Stange in der Hand hin und her sprang und das ungefüge Stück in die richtige Lage dirigierte und festband.
Am nächsten Tag ging es mit der Arbeit gleich frühmorgens weiter, denn Karl gedachte an diesem Tag Richtfest zu feiern. Zwei von den fünf leichteren inneren Bindern wurden hinaufgehoben und in ihrer richtigen Stellung durch ein paar aufgenagelte Latten festgehalten. Dann folgte eine längere Mittagspause, denn es war ein recht schwüler Tag, und erst ein Schwimmbad in dem noch frühlingsmässig kühlen Strom gab die richtige Frische zur Weiterarbeit.
Die nächsten zwei Binder wurden hochgebracht, aber zum feierlichen „Hebauf“ mit geschmücktem Bäumchen, Richtspruch und Gläserklang kam es nicht, denn kaum war der vorletzte Binder festgemacht, da wirbelte eine Gewitterböe Wolken von Staub auf, rüttelte an dem neuen Bauwerk und bog die Sträucher nieder und dann begann die dunkle Wolkenbank, die schon seit Stunden im Westen heraufgezogen war, sich in einem kräftigen Regenguss zu entladen.
Hals über Kopf flüchteten alle von der Arbeitsstelle, und während draussen der Donner krachte und der Regen rauschte, wurde in der alten Hütte ganz formlos die
Flasche Apfelsaft geleert und die Hälfte des Kuchens verzehrt, den Ilse als einen in jener Zeit sehr seltenen Genuss extra für das Richtfest gebacken hatte.
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