24 - Der Flakhelfer und die Mädchen


Die Töchter hatten es sich inzwischen daheim gemütlich gemacht. Einmal war sogar Besuch von auswärts gekommen.
An einem trüben Nachmittag stand draussen ein magerer, junger Mann in einem alten Soldatenmantel.
„Bin ich hier recht bei Familie Korn?
Ich bin der Christof Schnickle aus Freiburg, ich möchte gern meine Sachen hier abholen – „
Monika schaute verwundert:
„Ja, Hedi, komm doch du mal!“
„ Hedi, kennst du mich noch? Vor zwei Jahren bin ich ein paarmal bei deinen Eltern gewesen, als ich bei der Flak war – „
„Ach ja, jetzt erinnere ich mich – „
„Also, dann komm mal rein ! Unsere Eltern sind nicht daheim. “
Christof kam herein, legte seinen Mantel ab und nahm etwas verlegen Platz.
Die Mädchen brachten Brot und Marmelade und kochten schnell einen Pfefferminztee und bald war ein lebhaftes Gespräch im Gang.
Christof erzählte, dass er dringend die Kleidungsstücke brauche und freute sich sehr, als Hedwig sie ihm nach kurzem Suchen wohlbehalten aushändigen konnte.
„Und nur wegen der paar Kleidungsstücke hast du die weite Reise hierher gemacht?“
„Extra deswegen – ja und nein – es hat sich eben eine günstige Gelegenheit ergeben, ein Lastwagen ist von meiner Firma in die Gegend gefahren, um Material zu holen, da konnte ich mitfahren, und morgen nimmt er mich an der Autobahn wieder mit –„
„Von deiner Firma, klingt ja grossartig! Was hast du denn für eine Firma?“
„Ja - i c h hab nicht die Firma, die Firma hat m i c h ! Die Baufirma halt, bei der ich als




Maurerlehrling arbeite.“
"Oh, das ist aber eine schwere Arbeit –" bedauerte ihn Hedwig.
"Ja, aber wir müssen halt alle von ganz unten anfangen! Meinen ganzen Geschwistern geht’s nicht anders und der Vater und die Mutter müssen schauen, wie sie durchkommen. Wir halten alle zusammen – der Vater ist ja so eifrig gewesen in der Partei, darum haben sie ihn damals zum Ober-Schulrat gemacht – und jetzt muss er’s büssen!"
"Das kennen wir, unser Vater war auch in der Partei – dafür muss er jetzt auch den Hilfsarbeiter machen!" stellte Hedwig niedergeschlagen fest, aber Monika ergänzte:
„Aber wir haben ja unser Ländle, da wird im Frühjahr gebaut, dann wohnen wir im eigenen Haus!“
„Wirklich, baut ihr? Vor zwei Jahren war ich doch mal mit euren Eltern auf eurem Grundstück und wir haben davon gesprochen, dass man dort eigentlich einen Obstgarten anlegen könnte. Und jetzt wollt ihr euch ein Haus bauen? Könnt ihr denn Material bekommen? Das gibt’s doch gar nicht, für einen privaten Bau!“
„Haben wir schon, das ganze Haus, müssen es nur noch aufstellen!“ triumphierte Monika.
Christof war begeistert und hätte am liebsten gleich mitgeholfen – aber es ging ja nicht, erstens konnte man ja jetzt im strengen Winter sowieso nicht bauen, und dann musste er erst richtig was lernen, damit er später sein tägliches Brot verdienen konnte.
„Ja, das tägliche Brot – an viel mehr darf man ja heute gar nicht denken –“
„Darfst nicht so pessimistisch sein," besänftigte die immer zukunftsfrohe Moni ihn, „sieh, die Hedi hat auch fast ein Jahr schwer beim Bauern arbeiten müssen, dabei hat sie sogar das Abitur. Aber jetzt kriegt sie eine Lehrstelle als Handweberin, und ich geh ja noch in die Schule, aber mit sechszehn Jahren will ich Gärtnerin lernen, der Beruf wird immer gebraucht.“
Christof erkundigte sich, wo denn die Eltern eigentlich steckten und freute sich zu hören, dass sie sich durch die schwierige Zeit nicht vom geliebten Skilauf abhalten liessen.
„Eure Eltern erzählten mir, dass ihr beiden ja wohl auch schon als ganz kleine Stopsel





auf den Bretteln mit im Gebirge gewesen seid. Mit vier Jahren hättet ihr schon angefangen! Wo ist denn das gewesen, im Allgäu wahrscheinlich?“
„Ja freilich, auf der Mittelberger Hütte im Allgäu waren wir so oft.“


Skihütte auf der Alm

"Manchmal war auch Schneesturm. Einmal sind wir mit dem Auto stecken geblieben und haben zu Fuss weitergehen müssen, da wir im Schneesturm gar nicht mehr aus den Augen schauen konnten. Da haben mir die Eltern einen dicken Schal um den Kopf gewickelt und mich wie ein blindes Kind geführt.
Dann sind wir aber auch zur Alm gegangen, haben dort die Sonne genossen und Schneeballschlachten gemacht, das war pfundig - und erst, wie der Tante Charlotte, der Sängerin, eine Lawine vom Dach auf den Rücken gerutscht ist!"
"Da hätte ich auch gern mitgemacht! Wir haben auch recht zünftige Skifahrten im Schwarzwald gemacht.






Opel im Schnee am Hohen Peissenberg



Euer Vater hat mir doch die Geschichte von eurem Gelände erzählt, bis zur Aufstellung der kleinen Hütte war er gekommen - und seither haben wir alle einander nicht mehr gesehen. Jetzt wäre ich schon neugierig, wie es damals weiter gegangen ist. Wie war es mit diesem "Bund für Leibeszucht"? Davon hab ich doch auch schon gehört – hat nicht euer Vater damals davon gesprochen? “
„Ja, da musst du schon die Hedi fragen,“ antwortete Monika, „ich bin ja damals noch so klein gewesen.“
„Da ist gar nicht so viel zu erzählen“ meinte Hedi. „Wie die Hütte da war, sind in den nächsten Jahren noch ein paar Familien dazu gekommen, Ottos, Kastners und Gassmanns, und wir haben zusammen den kleinen Faustballplatz angelegt.







Hedi und Moni beim Pfeilbogenschiessen


Dann sind auch wir bei dem Bund beigetreten, hauptsächlich wegen dem Skilager im Allgäu hat der Vater sich angemeldet.
Später haben sie dann einen eigenen kleinen eingetragenen Verein mit anderem Namen hier gegründet, damit die Gestapo uns nicht verhaften konnte.
Der Partei musste der Vater damals auch beitreten aus dem Grund, damit er seine gute Stelle nicht verlor und dass er als Vorstand des kleinen Vereins wirken konnte.“
„Und wie ists dann weiter gegangen mit eurem Verein?“
„Ja, das ist dann ganz ordentlich weiter gegangen – weißt, man hat sich dann noch dem „Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen“ angeschlossen, über Satzungen und so was musste man sich nicht den Kopf zerbrechen, nur unterschreiben musste der Vater – damit war man dann nach aussen gedeckt. Wir haben sogar einmal einen Filmabend vor geladenen Gästen gemacht und haben von der Gemeinde ein grosses Stück Land zur Erweiterung des Geländes gepachtet, das ging alles ganz glatt.






Ankunft auf dem Ländle



Es sind auch immer mehr nette Leute bei uns beigetreten. Man muss schon sagen: auf diese Weise, durch den formellen Anschluss, haben wir es ganz schön gehabt, eine richtige freie Oase ist ja unser Gelände in der schlimmen Kriegszeit gewesen.“
„Ja, das hab ich ja selber noch miterlebt,“ bekräftige Christof.

„Wie schön ists doch gewesen draussen am Fluss – und erst die Bootfahrten auf dem Bach mit unserm alten geflickten Faltboot, das man jede Viertelstunde auskippen musste."









Faltboot Lumpsack


Dann bekamen sie wieder Hunger. Hedwig sorgte fürs Abendessen und als die Uhr schon auf neun ging, da fiel es Hedwig plötzlich ein:
„Und wo schläfts du denn heute Nacht? Hast du denn schon eine Unterkunft?“
„Ja – nein, eigentlich noch nicht, da muss ich aber jetzt gleich losgehen. Hoffentlich find ich noch was – das wird aber schwer sein, so spät abends –„
„Na, da bleibst du doch natürlich hier bei uns, wir haben doch Platz genug, zwei Betten sind frei “ lachte Monika.
Hedwig war etwas bedenklich: „Ob wir das erlauben dürfen, so ohne die Eltern? Obs dem Vater recht sein wird?“
„Ach was, da ist doch gar nix dabei. Die Mama täts ganz bestimmt erlauben, das sag ich dir!“
„Na ja, wenn du es schon sagst!“
Und so schliefen die drei friedlich zusammen in dem grossen kalten Zimmer, morgens frühstückten sie noch miteinander und als Moni in die Schule ging, nahm Christof seinen Rucksack, begleitete sie bis in die Mitte der Stadt und wanderte dann in Richtung Autobahn.




dreifels ag