Das Rathaus mit dem einzigartigen goldenen Saal ist heruntergebrannt, der Perlachturm rauchte gestern noch und wird wohl nicht mehr lange stehen, all die schönen alten Patrizierhäuser sind abgebrannt, die Fuggerhäuser, das Weberhaus, das Konservatorium, Kröll & Nill, drei Mohren, dazu das Riedingerhaus, das Apollotheater mit dem Filmpalast, die Barfüsserkirche, die Moritzkirche und die katholische Kreuzkirche sind ebenfalls vernichtet.
Das Lechviertel bietet ein Bild schauriger Verwüstung, stellenweise waren noch die Bäche ausgetreten und überschwemmten die Trümmerhaufen auf den Strassen mit Eis und Schneeschlamm. Die Jakober-Vorstadt mit Jakobs- und Maxkirche, Fuggerei und Jakobertor ist ebenfalls völlig zerstört, das Hauptkrankenhaus stark beschädigt, das Diakonissenhaus beim Bahnhof teilweise abgebrannt. |
|
Höchstetter-Erker an der Ludwigstrasse |
Am Jakober- und Oblatterwall mit dem schönen alten Baumbestand herrscht eine trostlose Verwüstung, ebenso in den Strassen der MAN entlang, die auch äusserst schwer getroffen ist. An dieser Strecke wurden hauptsächlich Sprengbomben und Minen geworfen, welche die Häuser, Bäume und alles andere völlig in Fetzen schlugen.
Alles in allem kann man wohl schätzen, dass die Hälfte der Augsburger obdachlos geworden sind und dass nur der kleinere Teil davon je wieder in ihre Häuser wird zurückkehren können. Natürlich gab es auch viele Tote, man sprach in den ersten Tagen von 8oo, es werden aber wohl leider noch mehr werden.
Strom- und Wasserversorgung sind nach dem Angriff völlig ausgefallen und kommen jetzt erst ganz allmählich in Gang. Im Beamtenwohnhaus waren die Fenster und Läden zum Teil zertrümmert, das Dach ziemlich beschädigt. Der grosse Gasbehälter hatte zwei faustgrosse Löcher, an denen wir ein paar Tage herumflickten und die wohl von einer der beiden
Bomben stammten, die den Oberhauser Bahnhof und fast die ganze Neuhäuserstrasse ( in der wir früher wohnten) zerstört haben.
Da wir im Gaswerk fast ohne Schäden geblieben sind, gehören wir zu den wenigen Glücklichen, die sofort wieder elektrisches Licht (vom eigenen Notstromagregat) und sehr bald wieder Wasser hatten.
Die Strassen der Stadt sind gefüllt mit Fahrzeugen aller Art, bis von Berlin sind Hilfszüge hergekommen, Verpflegung wird bis aus der Münchner Gegend hergefahren, Tausende von Soldaten haben in den letzten Tagen die Strassen für den Verkehr frei gemacht, sind jetzt allerdings zum grössten Teil wieder verschwunden.
Vorgestern waren besonders viele Bauern- und andere Fuhrwerke zu sehen, welche die jämmerlichen Reste der Einrichtungen aufs Land brachten. In der Altstadt war es stellenweise totenstill, besonders wo die Strassen zum Sprengen abgesperrte waren.
Merkwürdigerweise ist die Schule von Hedwig und Moni mitten im grössten Schadengebiet fast völlig verschont geblieben, aber die Schülerinnen haben sich in alle Winde zerstreut."
Karl dachte an die schlimmen Tage zurück, während Arthur von seinem Schicksal und dem seiner Frau erzählte.
Ihnen war es bitter ergangen, die Dynamitfabrik mit ihrer Werkwohnung lag in Trümmern, in dem nahegelegenen Städtchen fand sich keine Existenzmöglichkeit,
aber Claire hatte sich ihrer kunstgewerblichen Fähigkeiten erinnert und eine Stunde weiter in einem Dorf eine Handweberei eingerichtet.
Handweberei! Ilse, die inzwischen nach Hause gekommen war, horchte auf: das wäre doch endlich eine Berufsmöglichkeit für Hedwig, die sich bei den Bauern abquälte!
Arthur stimmte zu, seine Frau könne gut noch einen Lehrling neben den beiden angelernten Mädchen beschäftigen. Das Meisterdiplom habe sie ja. Eine richtige volle Lehrzeit, damit könne man später überall bestehen! Man war sich rasch darüber einig, dass man auf jeden Fall an Ort und Stelle verhandeln müsse, schrieb gleich an Hedwig, dass sie an Lichtmess, wie es auf dem Lande noch Brauch war, ihre Stelle aufkündigen solle.
Prompt traf sie zu Hause ein und fuhr dann gleich einmal mit dem Vater los, und da Claire sehr nett war und auch ein eigenes kleines Zimmer für Hedwig bereitstand, war man sich rasch einig. So ganz himmelhoch begeistert war allerdings Hedwig nicht, es bedrückte sie etwas, dass sie, endlich wieder heimgekommen, schon gleich wieder hinaus aufs Dorf zu fremden Leuten ziehen sollte – und gleich auf zwei lange Jahre!
Ein paar Wochen sollte sie wenigstens daheim bleiben, bis der strengste Winter vorbei war, sagte die Mutter. Nach einer Woche aber meinte der Vater, eigentlich habe die Mutter auch einmal ein bisschen Erholung und andere Luft nötig und die zwei Mädchen könnten doch ganz gut ein paar Tage allein wirtschaften. Ilse stimmte begeistert zu, begann auch gleich die Rucksäcke voll Proviant zu packen und die beiden fuhren aufs Geratewohl los.
Ganz in der Nähe ihres früheren Stammquartiers fanden sie in einer grossen bewirtschafteten Almhütte ein annehmbares Matratzenlager und eine nicht grosse, aber lustige Gesellschaft. Verpflegung war nicht viel zu haben, so musste sich die Dauer des Aufenthaltes nach den mitgebrachten Vorräten richten.
|
|