Augsburger Gaswerks-Besuch 10.Juni 2002


„Suchen sie etwas?“ „Ja, Jugenderinnerungen!“
Ein spannender Moment, nach 56 Jahren an den Ort zurückzukehren, an dem man geboren wurde und 13 glückliche Jugendjahre verbracht hat.
Meiner Schwester Hilde, meinem Mann Sepp und mir bot sich die günstige Gelegenheit, unter der kundigen Führung eines ehemaligen Gaswerksmitarbeiters viele der meist leerstehenden Gebäude und die Gaskessel im grossen, eingezäunten Werksareal zu besichtigen.
Die Zufahrt: unter der Bahn durch, die Strasse immer noch holpriges Kopfsteinpflaster. Rechts die altbekannte Einfassungsmauer, unterbrochen durch zwei rostige Eisentüren ( wie früher!), unser ehemaliges Wohnhaus renoviert, leicht verändert, grosszügiger, die früher vielsprossigen Fenster haben nur noch eine grosse Scheibe. Links, wo vor Jahren Ziegen und Kühe weideten und wir im Sommer Purzelbäume über die Heuhaufen machten, prunken nun verspiegelte Glas- und Betonfassaden. Die Strasse führt jetzt weiter, früher war sie am Eingangstor zum Gaswerk zu Ende.
Kein Pförtner ist mehr da, der einem mit freundlicher Begrüssung das Eisentor öffnet, ein Knopfdruck im Auto erledigt alles automatisch.
Im Areal der erste überwältigende Eindruck: wir bewegen uns in einem grossen, etwas wilden Naturpark, überall mächtige Bäume, Wiesen mit blühendem Gras, verwilderte Obstbäume und Sträucher.
Wir haben Fotos von 1936-38 mitgenommen und suchen die selben Standorte auf. Oft bekommen wir den gleichen Blickwinkel ins Objektiv, ab und zu wurde ein Flachdachgebäude vor die schönen Fassaden gestellt oder Bäume verdecken die Sicht auf die imposanten Bauten. Alles Betriebsleben ist ausgestorben, nur die




Wohnungen sind noch besetzt.
Die Architektur der Werksgebäude ist überwältigend, als Kind konnte ich das noch nicht so erfassen. Beim Betreten der einzelnen Hallen kommen wir gleich ins träumen, sehen festlich gekleidete Leute an schön gedeckten Tischen, eine Theaterbühne im Hintergrund, bestückt mit dem Riesenstuhl oder anderen Kulissen, die vom Stadttheater hier in den Hallen eingelagert sind. Das warme Licht schimmert durch die halbrunden Bogenfenster in den Park, Musik spielt zum Tanz!
Oder hier ein riesiger Saal mit Oberlichtern in den Dachschrägen, am Boden sind Spuren, wie wenn Rollschuhfahrer ihre Kreise gedreht hätten: der letzte „Saubermann“ wischte den Staub in grossen Bögen durch die Halle. Im Untergeschoss ein Hauch von Nostalgie, in einer Ecke ein uraltes rostiges Fahrrad, weiter vorne ein sorgfältig zugedecktes Oldtimer-Auto.
Im ehemaligen Gasreinigungsgebäude der altbekannte Geruch, hier durften wir uns sogar als Kinder manchmal aufhalten, wenn wir Keuchhusten hatten. Angeblich sollten die Ausdünstungen den Heilungsprozess fördern.
Wir betreten einen Rundbau mit Kuppel, ideal geeignet als Moschee, jetzt allerdings noch von einem schweren Kranwagen besetzt. Einzelne Topfpflanzen stehen noch in den Räumen der Meister, teils vertrocknet, teils von Heinzelmännchen mit Wasser versorgt.
Wir streifen durch unsere ehemaligen, nun stark veränderten Gartenanlagen, nur die betonierten Frühbeete und das Gartenhaus erinnern an unsere früheren Anlagen. Kleinere, gepflegte, z.T. verspielte Gartenhöfe der Hausbewohner liegen als Oasen zwischen Wiesen, Hecken, Bäumen und Betonwegen, von der Natur zurückerobert und bemoost.
Einzelne Männer und Frauen begegnen uns und wir kommen ins Gespräch mit ihnen. Es sind Bewohner des Hauses, in dem wir jahrelang lebten. Wir werden zu zwei Familien in ihre Wohnung im 1.Stock eingeladen. Hier wohnte meine gleichaltrige Freundin Gretl. Rechts von den Wohnungseingangstüren ist immer noch ein Schiebefenster, durch das man die vom Milchmann gebrachte Milch hereinholte. In den beiden Wohnungen wurde später der 13 m lange Gang unterteilt, es entstanden 2 kleinere Wohnungen pro Stockwerk.




Die Holzfensterläden sind immer noch von innen mit einer Kurbel zu bedienen. Das war vor allem während des Krieges, als man jeden Abend verdunkeln musste, praktisch. Die Abdunklung mit Fensterläden im Kriegsfall wurde schon als bestes Mittel auf einer Tagung für Werkluftschutzleiter an der mein Vater teilnahm, 1935 empfohlen!
In den oberen Wohnungen sind teilweise immer noch die Decken mit Stuck verziert, in der Parterre-Wohnung an den Betondecken hatten wir im Gang eine Schaukel und Turnstangen montiert. Alle Bewohner leben in dieser Grünoase glücklich, sind aber im Ungewissen, was in nächster Zeit mit dem ganzen Areal passiert. Auch Tiere fühlen sich hier heimisch, um den Wasserturm segeln Falken, Hasen freuen sich über das hohe Gras ( im Gegensatz zu den Hausbewohnern!) und in einem grossen Teich leben Enten und alte, ungeniessbare Karpfen. Jahrelang bewohnte ein Rehbock den bewaldeten Hügel vor den neuen Öltanks, er verteidigte sein Revier auch gegen menschliche Eindringlinge und seine Angriffe mussten mit Besen abgewehrt werden!
Die beiden älteren Gaskessel erschienen mir viel grösser und näher beim Haus als in der Erinnerung. Filigran ragt die Eisenkonstruktion mit dem Werbespruch „Koche mit Gas“ gegen den Himmel. Auch die alte Wetterfahne ist immer noch da. Ein Aufstieg war nicht möglich, da der Umlaufsteg unter Wasser stand. Aber nur das kurze Stück mit seinem „klapp-klapp-klapp“ auf der Wendeltreppe versetzte mich 6o Jahre zurück: heimlich waren wir mit den „Gaswerksbuben“ verbotenerweise um die Kessel auf schwindelnder Höhe herumgerast.Der Zahn der Zeit hat an den beiden Kesseln genagt, d.h. in der bauchigen Wand wurde bei beiden ein torgrosses Loch aufgefräst. Unheimlich war der Blick auf die schwarze ölige Flüssigkeit im Kesselinnern, aufschlussreich dagegen die Konstruktionsdetails: wie bei Camping-Trinkbechern liessen sich 3 Stücke hochschieben je nach Gasmenge, aussen floss öliges Wasser zur Kühlung und Verhinderung von Reibung.
Die Gebäude stehen nun unter Denkmalschutz und es ist nur zu hoffen, dass dieses schöne Industrieensemble der Nachwelt erhalten bleibt.

28.Juni 2002
Gisela Schnyder-Prölss




dreifels ag