Aufzeichnungen aus den letzten Kriegstagen 1945


Auszüge aus Briefen an Gisela im KLV-Lager Füssen. Sie konnten teilweise gar nicht mehr abgeschickt werden, wurden aber als Zeitdokumente aufbewahrt. Dazu noch Tagebucheintragungen von Gisela.

2. März 1945:
Hans: Am Dienstag, 27.2., haben wir in Augsburg wieder einen schweren Luftangriff gehabt. Die Bomber, etwa 4-600 Stück, kamen in 4 Teilen aus Italien über Kufstein und machten meistens einen grossen Bogen bis über Ingolstadt und flogen Augsburg von Nordwesten an. Die Schäden in der ganzen Stadt sind sehr schwer, besonders das Bahnhofgelände ist völlig verwüstet, wie ja die Bahnanlagen überhaupt seit 14 Tagen ganz besonders das Ziel der feindlichen Bomber sind. Es geht jetzt der ganze Zugverkehr von Norden und Westen nur bis Oberhausen, eine ganze Völkerwanderung geht die Ulmerstrasse hinein und über die Wertachbrücke, von der nur noch die südliche Hälfte steht, sodass nur noch die Fussgänger hinüber können.
Sehr viele von unsern Leuten im Gaswerk sind bombengeschädigt, der Kraftfahrer Stehle ist durch einen Volltreffer in seiner Wohnung getötet worden. Der Schweisser Labl hat seine Frau verloren.
Natürlich geht keine Strassenbahn und die grossen Wasserleitungen sind stark beschädigt, sodass wir vom Gaswerk wieder Wasser ins Rohrnetz pumpen müssen. Gas müssen wir dafür augenblicklich gar keines machen, da die beiden Hauptleitungen in der Stadt wegen Rohrbrüchen abgesperrt sind. Es riecht aber nicht überall nach Gas, in einem Teil der Donauwörtherstrasse duftet es viel feiner, weil da die Seifenfabrik Röthel zertrümmert ist.
Im Werk haben wir in diesen Tagen auch grosses Unglück gehabt, die Braunkohlen,



die wir jetzt viel verarbeiten müssen, geben einen so leicht entzündlichen Staub und machen solche Schwierigkeiten im Betrieb, dass uns kurz nach dem Angriff und am nächsten Morgen je ein Arbeiter so schwer verbrannt wurde, dass sie alle beide starben. Bei dem zweiten Fall, wo aus einer Kammer der kleinstückige Braunkohlenkoks explosionsartig wie aus einem Vulkan ausgeworfen wurde, entstand eine furchtbare Stichflamme hoch über das Dach hinaus.

3. März:
Hans: Der Bahnhof in Treuchtlingen, in dem ich am vorletzten Mittwoch nachts von 24 bis 5 Uhr in fürchterlichem Gedränge herumgesessen war, soll 2 Tage später durch einen Angriff völlig verwüstet worden sein, ebenso in dieser Woche die Bahnhöfe von Leipzig und Halle, wo ich mich auch in der vorigen Woche aufgehalten hatte.

26. April:
Irmgard: Also ihr habt eure Rucksäcke auch schon für den Notfall gepackt. Hilde und ich haben von Deuter neue Rucksäcke bekommen und sie mit den nötigsten Sachen vollgepackt. Aus den Kasernen wurden verschiedene Sachen herausgeholt und an die Zivilbevölkerung verteilt. Vater erhielt mehrere Skiriemen und eine Joppe, die er zum Skilaufen gut gebrauchen kann, und noch eine Mütze.
In den letzten Tagen verbrachten Hilde und ich fast unsere ganze Zeit mit dem Einholen in allen Geschäften, die Lebensmittel abgaben, die Leute standen in langen Schlangen an und Brot und Käse waren bald wieder ausverkauft. Wir Augsburger haben jetzt eine Menge Vorräte bekommen, von denen wir eine Zeitlang zehren können.
Der Gedanke, dass die Amerikaner bald in Augburg sein werden, macht uns schon sehr traurig.
Hans: Unser Volkssturm im Gaswerk, der in letzter Zeit etwas aufgezogen worden ist, hat glücklicherweise nur ein paar alte Gewehre, sodass wir nichts weiter machen können, als uns in den Keller zu verkriechen. Es werden nun viele Brücken gesprengt, wahrscheinlich auch die Lechbrücken hier.




2. Mai:
Hans: Nun haben wir dir unsern letzten Brief vom 26.4. nicht mehr schicken können, denn ab 27.4. ging keine Eisenbahn mehr. Die tausend Bomber, die für Augsburg bereit standen, wurden glücklicherweise nicht eingesetzt, was, wie man hört, hauptsächlich dem gewesenen Oberbürgermeister Mayr zu verdanken ist, der eine Verteidigung der Stadt verhindert hat. Nun aber der Reihe nach:
Am Donnerstag, 26.4., kam das Gebumse immer näher, es krachte ein paar Mal fürchterlich, da wurden Brücken usw., gesprengt, besonders auch die schöne grosse Autobahnbrücke bei Gersthofen und von der Hitlerjugend der kleine Lechsteg bei der MAN.
Am 27. früh hörten wir, dass schon Buchloe besetzt sei und am Lech unterhalb Augsburg gekämpft wurde. Es wurden jetzt auch Anstalten zur Verteidigung getroffen, vor die Feldstrassenunterführung stellte man 3 Wagen mit Alteisen, in die Unterführung in der Hirblingerstrasse warf man 3 Eisenbahnwagen herunter. An der Oberhauser Kirche lagen ein Haufen Karren und Balken übereinander und das alles sollte die grossen Panzer aufhalten! Dazu gingen ganze 8 Soldaten ums Gaswerk herum in Stellung und gruben sich in der Wiese ein. An unsere Leute wurde noch einiges verteilt: Uniformstücke, Wein und Zigaretten.
So um 19 Uhr hörte man das Gebrumm von Panzern im Westen, es verstärkte sich immer mehr und um 20 Uhr gingen ein paar Schüsse in unsere Gegend, die mit hellem Knall platzten, aber nur zerfetzte Flugblätter ausstreuten.

5. Mai:
Hans: Die Schiesserei nahm zu. Unsere Betten hatten wir schon am Tag in den Keller geschafft und als es gegen 22 Uhr ruhiger wurde, ging alles schlafen. Der Volkssturm löste sich abends auf Befehl auf, zerschlug seine paar alten Gewehre und verbrannte die Armbinden. Um Mitternacht wurden wir wieder geweckt, eine Minute vor 24 Uhr kam Franks Fritz an. Er war in den letzten 10 Tagen mit seinem HJ-Volkssturm von Harburg bis Friedberg marschiert und nun sollten sie zu den Truppen um München geschickt werden, aber die ganze Kompanie zog es vor zur Mutter heim zu gehen.
Am 28.4. um 0 Uhr 30 hatten dann die Sirenen 5 Minuten "Feindalarm". Sicher wurde




die ganze Nacht über die Übergabe verhandelt und als ich morgens Dr. Vogt anrief, hörte ich, dass Augsburg zwar nicht formell übergeben, aber auch nicht richtig verteidigt wurde und dass die Panzer schon am Stadtrand standen. Die 8 Soldaten wimmelten herum, einer nach dem andern tauchte dann als neugebackener Zivilist wieder auf und versuchte, zu Fuss oder mit dem Rad in seine Heimat zu entkommen.
Das Gaswerk stellten wir ganz ab, auch die Dampfkessel löschten wir aus, Strom hatten wir sowieso keinen mehr. Die Amerikaner kümmerten sich zunächst gar nicht um uns, erst fuhren nur ein paar Autos die Feldstrasse hinaus und kehrten am Tor wieder um, dann ein paar schwere Panzer desgleichen. Die wendeten in ein paar Sekunden auf der Stelle so, dass die Fetzen aus dem Pflaster flogen.
Man sah dauernd eine Menge kleiner, langsamer Fahrzeuge herumgondeln. Es waren teilweise die Quartiermacher für die nachfolgenden Truppen darin, die die Häuser belegten. Vielfach sind die Leute ganz aus ihren Häusern herausgesetzt worden, durften aber nach ein paar Tagen wieder hinein. Anderswo haben sich die Amerikaner aber auch mit einem Teil der Wohnung begnügt und sich sehr höflich benommen.
Die Einquartierung war hauptsächlich an den Durchgangsstrassen wie in Kriegshaber, wo in diesen Tagen unendliche Kraftfahrkolonnen durchfuhren. Die halbzertrümmerte Wertachbrücke wurde gleich in den ersten Tagen durch eine Behelfsbrücke ergänzt.

5. Mai:
Hans: Am Sonntag, 29.4., riefen sie mich ins Werk, weil ein Amerikaner am Tor war. Es war ein Captain, den ich im ganzen Werk herumführen musste, unter Aufbietung meiner ganzen Engllschkenntnisse. Er wollte seine „trucks“ zu uns hereinstellen, mächtige Lastwagen und Raupenfahrzeuge, so 20 – 30 Stück, und als sie alle mit viel Getöse drinnen waren, fragte er, wo seine 90 Mann schlafen könnten. Wir bekamen schon einen Schreck, aber er wollte gar nicht in die Wohnhäuser und ins Bürohaus, sondern sie verteilten sich in die Betriebsgebäude, Kantine usw., wo genug Platz für sie war. Die Amerikaner sind ja mit allem gut ausgerüstet, mit schönen Schlafsäcken, Feldbetten usw., ihre Kochkessel heizten sie mit Benzin. Der Captain lief wie ein




Wiesel überall herum, sah sich alles an, fragte, wo man rein durfte und wo nicht, schrieb mit Kreide an die Türen „off limits“ und liess schliesslich seine Männer antreten und hielt ihnen eine lange Rede.
Dann gingen die Leute an ihre verschiedenen Arbeiten (es war eine Panzer-Reparatur-Abteilung), und für 1½ Tage war unser Werk kein Gaswerk mehr, sondern eine militärische Anlage.
Von unsern Arbeitern kam fast niemand, denn es war für diesen Tag Ausgang nur von 11 – 13 Uhr erlaubt.
Vom Sonntag an begannen die Ausländer, die Stadt zu beherrschen; Franzosen, Polen, Russen usw. fingen an, Lager und Fabriken auszuräumen. Von Deuter (=Zeltfabrik) und Wessels (=Schuhfabrik) ging 2 Tage lang eine grosse Wanderung bei uns vorbei, grosse Stoff- und Lederballen und ähnliche Sachen wurden abgeschleppt. Die Amerikaner duldeten das Ausräumen, manche Deutsche beteiligten sich auch daran. Wenn es zu toll herging, jagten die Amerikaner hie und da ein paar Schüsse aus ihren Maschinenpistolen über die Leute. Auf Fahrräder waren die Ausländer auch sehr scharf, weil ja viele von ihnen möglichst schnell heimfahren wollten und manchem Deutschen wurde das Rad einfach weggenommen, später auch von der amerikanischen Polizei, weil für die endlosen Autokolonnen anscheinend die Radler zu oft Hindernisse bildeten.

19.April:
Brief von Hilde mit Beschreibung ihrer Heimreise vom Reichsarbeitsdienst (RAD) in Weiden/Oberpfalz:

Die letzte Zeit war es ja bei uns ziemlich unruhig durch die Flieger, man hörte den ganzen Tag „Alarm“, „Voralarm“, „Vollalarm“ und „Tiefflieger“ von den Sirenen. Meinen Koffer habe ich nicht mehr hinauf und hinunter geschleppt, weil ich schon Blasen an den Händen hatte.
11 Maiden waren ausgerissen und es wollten noch mehr durchbrennen, aber sie wurden dann doch wieder durch die Appelle unserer Führerin eingeschüchtert. Diese versicherte uns immer wieder, dass wir rechtzeitig wegkämen. Dass wir dann allerdings 60 Räder bekommen sollten oder ein Lastauto, daran glaubte niemand.



Wir packten alle unser Sachen zusammen, ich machte mir wie viele andere aus einer Decke einen Rucksack, weil mein Koffer sonst zu schwer gewesen wäre.
Am nächsten Morgen beim Frühstück konnte ich mir ein Stück Brot ergaunern. Vom männlichen RAD wurde dann 1 Zentner Zucker geholt und verteilt, jede bekam auch ein Stückchen Käse. Nach dem Mittagessen mussten wir noch auf unsere Entlassungsschreiben warten, auch die Dienstausweise mussten wir abliefern. Diese wurden dann mit sämtlichen anderen Papieren verbrannt. Jede bekam noch ¼ Brot. Butter und Kunsthonig sollten wir auch noch bekommen, sie wurden aber erst gebracht, als alle schon weggingen. Eine von uns holte aber noch ihre und meine Portion. Es war dann für das wenige Brot viel zu viel Aufstrich, sodass ich noch etwas davon heimbrachte.
Vor 3 Uhr bekamen wir endlich unsere Entlassungsscheine (zur Wiedereinstellung) und man setzte uns auf die Strasse, von Rädern und Autos war natürlich keine Rede mehr, nur die Führerinnen hatten Räder. Wir mussten also selber sehen, wie wir weiterkamen. Züge fuhren nicht mehr viele und sie waren so voll, dass die Leute auf den Trittbrettern standen und auf den Dächern lagen. So blieben uns also nur die Lastautos übrig, von denen in den letzten Tagen massenhaft durchgefahren waren. Bis 16 Uhr sollte der Ort Weiden von Frauen und Kindern geräumt sein. Jetzt kamen aber nicht mehr so viel Militärautos und alle waren so voll, dass sie niemand mehr mitnehmen konnten. Ich ging dann mit mehreren Anderen in die nächste Ortschaft, wo sämtliche Autos angehalten wurden.
Als wir eine Weile dort standen, kamen plötzlich Tiefflieger und wir mussten ein paar Mal in ein Haus flüchten. Kurz vor 17 Uhr kam ich dann mit 4 anderen Mädchen in einem Auto mit, wir konnten bis Schwandorf, zwischen Weiden und Regensburg, fahren.
Auf der Strasse sah man sehr viele Soldaten zu Fuss. Um ½ 20 Uhr in Schwandorf gingen wir gleich zum Bahnhof, um uns nach Zügen zu erkundigen. Es hiess, bald sollte ein Zug kommen, aber der Bahnsteig war so voll, dass wir keine Hoffnung hatten, unterzukommen. Als der Zug kam, war er auch schon so voll. In dem Gedränge verlor ich die anderen und konnte einen Platz auf einer Plattform ergattern. Während der Zug noch ziemlich lange dastand, füllte sich der Bahnsteig wieder




vollständig mit Soldaten.
Die Fahrt ging sehr langsam und um 2 Uhr kamen wir erst nach Regensburg. Erst kurz vor 7 Uhr fuhr der Zug nach Ingolstadt weiter. Ich bekam sogar einen Sitzplatz, aber es war ziemlich kühl, denn es gab keine Scheiben. Kurz vor Ingolstadt blieb der Zug ziemlich lange wegen der Flieger stehen, die meisten Leute stiegen aus. Da fand ich auch die Maid wieder, von der ich Brot, Butter und Kunsthonig hatte und die schon lange hungrig war.
Um 13 Uhr kurz vor Ingolstadt mussten alle aussteigen, weil der Bahnhof kaputt war. Dort hiess es dann, dass der nächste Zug nach Augsburg um 23 Uhr ginge.
Schliesslich ging dann ein Zug nach München, von uns waren nur noch die Augsburger da. Als es dunkel war, gaben wir es mit den Autos auf und warteten auf den nächsten Zug, der um 24 Uhr kam und vor 1 Uhr abfuhr, natürlich genau so langsam wie die anderen Züge. Wegen der Flieger musste er immer wieder stehen bleiben.
Um 6 Uhr kam ich in Augsburg an. Ich hörte, dass jetzt der Bahnhof in Schwandorf kaputt sei und auch die Brücke in Regensburg. Wir kamen also gerade noch rechtzeitig weg.
Als ich heimkam, erschien ¼ Stunde später Onkel Erich mit dem Rad, er war auch mit dem Zug von Ingolstadt gekommen.

Gisela: Tagebuchaufzeichnungen vom Kinderland – Verschickungslager (KLV) in Füssen:
27. April:
„Huhuhu“ blies die Sirene ihre 15 Heultöne, „Feindalarm“ rief es überall. Wir holten Kleider, Wäsche und Mäntel aus den Schränken und legten alle Sachen schön in Koffer. Als Kamm, Haar- und Zahnbürste im Luftschutzgepäck verstaut waren, stopften wir im Tagesraum Strümpfe. Frl. Schiller las uns die „ Turnachkinder“ ( Ida Bindschedler "Die Turnachkinder im Winter") fertig vor. Nach einem Abendlied sahen wir von unsern Betten aus noch zum Fenster hinaus, denn ein Wagen nach dem andern voll Flüchtlunge, teils Soldaten, teils Zivilpersonen, rollte die Kaufbeurer Strasse entlang. Wir hatten unsere Trainingsanzüge schon bereit gelegt, falls der Feind käme.



28.April:
„Knall-knall-knall !“ Erschrocken fuhr ich in meinem Bett zusammen. „Es schiesst!“ schrieen die anderen. Ich schlüpfte wie der Wind in meine Schuhe, packte meinen Bündel Kleider und wollte hinter Maisi die Treppe hinuntersausen. Frl. Schiller aber meinte: „Zieht eure Trainingsanzüge an, legt euch ganz ruhig hin und lasst die Zimmertüre offen!“ Nach 7 Uhr setzten wir uns in den Tagesraum, da kamen die Amerikaner schon die Strasse entlang. Aber weil Füssen sich schon ergeben hatte und an den Häusern weisse Flaggen hingen, wurde kaum geschossen. Einen Panzer nach dem andern hörten wir auf der Hauptstrasse rollen. Wir bemerkten mit Entsetzen, dass mehrere Panzer und Wagen die Säulingstrasse zu uns einbogen, ein Panzer fuhr über unsern Völkerballplatz und den Weg zum Haus. Kurz vor den Panzern waren noch deutsche Soldaten vorbei gerannt und hatten sich in den Lechauen verborgen. Sie wurden gleich gefangen genommen, bei den amerikanischen Wagen waren mehrere Autos voll deutscher Gefangener.
Die Feinde sind aber sehr freundlich. Einer bot Frl. Schiller gleich eine Zigarette an, was diese aber nicht annahm. Die Füssener Bevölkerung rannte hinter den Panzern mit weissen Tüchern her, die haben gesponnen! Bei Filsers (den Hausleuten) sind diese Nacht alle Betten belegt. Die Amerikaner können ja nicht so schnell weiter, weil die Lechbrücke gesprengt ist. Als ich heute Küchendienst machte, sassen drei Amerikaner in der Küche, lasen Zeitung und tranken Schnaps. Zum Mittagessen hatten sie Pfannkuchen und Apfelsinen. Denen geht es noch gut!
Ab und zu gellten auch Schüsse und verhallten an den Bergen. Als wir gestern schon im Bett lagen, gongten die betrunkenen Amerikaner noch auf unserm Essensgong.

29. April:
In der Nacht wachte ich etwa 5 x an Kanonendonner auf. Nach dem Frühstück hielten die Amerikaner Kirche in unserm Tagesraum, sie hatten sogar eine Orgel dabei. Andere waren beim Panzer und holten aus einer grossen Schachtel Schokolade und Bonbons. Sie warfen sie uns zu und wir verteilten sie. Sie schmeckten sehr gut, es




waren Drops. Nachmittags knallte es so arg, dass der Boden und das ganze Haus wackelten.
Die Amerikaner haben manchmal sogar kleine Hunde dabei. Ein Schwarzer ist bei unserer Besatzung auch, aber er ist fast genau so wie die anderen. Die Feinde haben meist lauter kleine Autos, mit denen sie herumfahren wie die Verrückten. Im ganzen Haus stehen leere und volle Bierflaschen herum.

30. April:
Nun sitzen wir in unserm Nachbarhaus, in der Villa Mathilde bei Frau Grob.
Gestern Nacht waren die Kerle wieder besoffen. Sie kamen zu Filsers ins Schlafzimmer, sodass die in den 2. Stock ausrückten. Um 15 Uhr hauten plötzlich fast alle Amerikaner ab. Sie hatten am Abend vorher noch Silberbesteck gestohlen. Abends fragte ein Amerikaner, was „ snow“ auf deutsch heisse, weil es draussen nämlich schneite. Als er hinausging, hinterliess er ein Stück Schokolade, welches Frl. Schiller verteilte. Nach dem Frühstück kamen wieder 2 Soldaten und meinten, wir müssten das Haus in einer Stunde räumen. Wir packten noch einiges in unser Luftschutzgepäck und wären beinahe geplatzt. Ich hatte 3 Hosen und eine Trainingshose, ein Kleid, eine Wolljacke, eine Windbluse, den braunen Mantel, den Trainingskittel und den Pelzmantel an. Die Wäsche und Kleider legten wir im Koffer in den Kofferraum, auch Mimi (die Puppe) steckte ich in meinen Schulranzen. Meine Wolldecke nahm ich unter den Arm.
Jeder bekam noch eine Konservendose mit Erbsen und einige auch Fleisch. Wir erfuhren, dass wir zu Frau Grob, einer netten alten Frau, kommen durften. Wir zogen mit unserm Gepäck, einem Deckbett, einem Teller und einer Tasse hinüber. Die Federbetten mussten wir allerdings zurückbringen. Ich holte dafür meinen Schlafsack, mit unsern Koffern zogen wir in 2 schöne Zimmer. Vorher holten wir alle noch Holz von dem Vorrat im „Neuschwanstein“ und trugen es hier in den Keller. Zum Essen um ¾3 Uhr gab es gute Erbsensuppe, Wurstbrot und Apfelmus.
In unserm alten Heim waren jetzt 100 Soldaten. In der grossen Glasveranda ist ihr Esssaal. Eine kleine Kanone wird auf der Wiese aufgestellt. Heute Abend gibt es einen guten Zwiebackbrei. Wir sind nur noch zu zehnt und machen es uns heute Nacht auf dem Boden gemütlich.




1.Mai:
Wir durften uns gestern abend in der Küche aufwärmen und bekamen noch einen Sprudel, zuerst hätten wir beinahe Essig bekommen! Heute gab es zum Frühstück wie jeden Tag 3 Stück Brot und Kaffee. Wir haben neulich einen grossen Knäuel Hanfgarn zu zweit gekauft.
Denkt euch, heute Mittag habe ich kein Hagee (= Hackfleisch) essen müssen. Die Kartoffeln schmeckten so viel besser. Ich war ja sooo froh! Am Nachmittag schneite es, wir mussten trotzdem rausgehen und sahen in der Stadt, dass an fast allen Häusern stand „reserved“. An jeder Strassenecke stand ein Amerikaner an einem kleinen offenen Feuer. Beim Lechfall wurde scheinbar etwas gesprengt, zuerst knallte es und dann sah man eine schwarze Rauchwolke aufsteigen.
Als wir uns daheim wieder aufgewärmt hatten, gingen wir wieder in unsere kalten Zimmer und zogen unsere Mäntel an.
2.Mai:
In der Früh war die ganze Gegend verschneit wie im Winter.
3.Mai:
Herr Filser holte uns heute Matratzen, damit wir nächste Nacht nicht so hart liegen müssen.
5.Mai:
Nach dem Essen hatten wir Schönschreibstunde. Wir wollen jetzt nämlich alle wieder die deutsche Schrift einführen. Ich kann aber lateinisch viel schöner schreiben. Frl. Schiller schrieb uns das ganze ABC vor. Gestern waren die Erwachsenen drüben in unserm Haus, kamen aber entsetzt wieder zurück. Im Kofferlagerraum sah es so furchtbar aus, dass sie gar nichts holen konnten.
6.Mai:
Heute morgen gingen wir in die Kirche, dort standen ungefähr 10 amerikanische Wachen.
7.Mai:
Vor den Lechauen ist jetzt ein Flugplatz, es starten und landen immer kleine amerikanische Flugzeuge. Heute hatten wir wieder Schönschreibstunde, aber das ist ziemlich langweilig. Auf der Wiese neben unserm Haus haben sich die Amerikaner




ein Feld abgesteckt, in der Mitte ein Netz gespannt und spielen dort mit viel Geschrei „Flugball“. Oft haben auch welche eine Art Handschuh an und fangen mit dem einen kleinen Ball auf, den einer aus ziemlicher Entfernung wirft.
8.Mai (in deutscher Schrift geschrieben!:
Wir haben jetzt jeden Tag Schönschreiben, was mir schon bald den Hals heraushängt. Nachmittags gingen wir auf einen Skihügel. In einem Auto sahen wir auf der Strasse einen richtigen Neger mit ganz dunkelbrauner Haut. Unten an den Hügeln sahen wir an einer Feuerstelle lauter verbrannte Apfelsinen, ungefähr 15 – 20 Stück.
9.Mai:
Frl. Schiller erreichte, dass wir alle ins Haus hinüber durften. Wir wollten die Kofferkammer aufräumen, ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie es da aussah! Alle Koffer waren ausgeräumt. In der Küche waren die Uhr und viele Porzellansachen zerschmettert und in Tassen stand Wein herum. Auf dem Boden lagen lauter Haare vom Haarschneiden. Wir verteilten unsere Sachen, die Puppenstube schenkten wir Füssener Kindern. Als wir wieder hinübergingen, sahen wir, was die Amerikaner alles zu essen hatten. Es war ein Kuchen mit Schokoladeguss darüber.
Beim Aufräumen stellten wir fest, dass die beiden Geigen von Lisi und die Ziehharmonika von Müschi fehlten. Frl. Schiller sagte es dem Sergeanten und er versprach, es morgen zu bringen.
10.Mai:
Gegen 16 Uhr gingen wir hinter der Burg den Weg zum Falkenstein. Dort lagen sehr viele Zivilisten und auch Amerikaner herum. Wir wurden aber nirgends aufgehalten, obwohl an andern Stellen die Wachen heute verschärft waren. Als wir dann in Füssen wieder in die staubigen Strassen kamen, gefiel es mir dort gar nicht mehr.
11.Mai:
Die Amerikaner treiben jeden Tag Morgensport. Heute mussten sie exerzieren, das war sehr lustig. Wir warten jetzt immer darauf, dass wir nach Hause dürfen, ich kann es kaum mehr erwarten.
(Am nächsten Tag, dem 12.Mai, konnten wir dann mit dem Lastwagen nach Augsburg fahren)




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